Auf nebligen Pfaden über den Kamor 1751m ü. M

Dichter Nebel ist keine gute Voraussetzung für einen bebilderten Tourenbeschrieb. Doch mit etwas gutem Willen werden der Natur dann andere sinnliche Momente abgewonnen als prächtige Fernsichten und intensive Farberlebnisse. So geschehen auf der Wanderung von Wasserauen über den Kamor ins Rheintal. Die Sonne macht dann doch auch noch mit.

Leicht fröstelnd laufen wir zu sechst vom Bahnhof in Wasserauen los. Der Wanderweg nach Brülisau führt durch ein bewaldetes Tobel und steigt rasch an. Bald macht sich wohlige Wärme unter der Softgeljacke breit. Im Grau wirkt alles etwas verloren, so auch ein junger Hund, der uns entgegenläuft. Ich fordere ihn auf, mit uns mitzukommen. Er zottelt uns nach und findet bald jaulend vor Glück sein Herrchen wieder, einen Jäger mit seiner Flinte auf der Fuchsjagd. Wir wechseln ein paar Worte mit ihm – von denen wir zwar nur die Hälfte verstehen – und schon erreichen wir Brülisau.

image
Das herbstliche Tobel zwischen Wasserauen und Brülisau

Hier verschlingt uns der Nebel vollends und lässt uns nicht mehr los. Die „Haare nässende Feuchtware“ (so mein Wanderfreund Thomas) reduziert die Sicht auf 30 Meter, öffnet aber die Sinne für Geräusche und Gerüche und schafft Raum für spannende Gespräche. Direttissima führt der Weg über Wiesen hoch zum Restaurant Ruhesitz, wo wir eine Kaffeepause einlegen, und ich lerne, dass Appenzeller die Chinesen der Schweiz sind – sie sprechen das R nicht aus.

image
Auf diesen Augenblick müssen wir noch lange warten…

Jetzt wird der Weg alpin. Die Route mäandert unter der Westwand des Kamors durch zum Kastensattel. Wir fragen jeden Entgegenkommenden dasselbe: „Wann kommt die Sonne?“ Aus 30 werden 15 und dann 5 Minuten. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf den feuchten Wangen fühlen sich wohlig an. Die Wolken wogen, der Kamor wird sichtbar – und verschwindet erneut im Grau. Ungewollt beschleunige ich das Tempo, jetzt will ich ultimativ Sonne! Genau auf dem Sattel werden wir erlöst: und wie!

Die kurze Traverse zum Gipfelgrat und die letzten Meter zum Gipfelkreuz werden zu einem Triumpfmarsch. Erhaben ist nicht nur das befreiende Gefühl an der wärmenden Sonne, sondern auch die Sicht. Aus der brodelnden Suppe erheben sich die Alpen und die nahen Spitzen des Alpsteins. Die Wolken stossen sich wie Wellen an den Grat zwischen Hohen Kasten und Staubernkanzel,  tanzende Fetzen hüllen die Gipfel immer wieder ein. Was für ein Schauspiel!

image
Freude herrscht!
image
Der Alpstein im wogenden Meer…

Die Bergdohlen interessieren sich indessen mehr für mein Sandwich und reihen sich gleich dutzendweise ein. Die zugeworfenen Brotkrumen werden schon in der Luft abgefangen. Ein witziges Spiel. Wir lassen unsere klitschnassen Haare trocknen und schauen mit etwas Bedauern in die Wolkenmasse über dem Rheintal, die uns bald wieder einpacken und versilbern wird.

image
Die Dohlen machen sich bereit…
image
…. zum Foodfang-Ballett

Wir steigen über die Weiden ab zur Forstegg und peilen dann unser Lunchziel an, das Restaurant Montlinger Schwamm. Der Blick von hier hinunter ins Rheintal wäre sicher prächtig, wir konzentrieren uns stattdessen darauf, auf dem feuchtglitschigen Wanderweg nicht auszurutschen.

image
So schön wäre die Sicht im Abstieg ohne Nebel… (Bild vor einer Woche vom Hohen Kasten geschossen)

Bei der Beiz entschlüpfen wir dem Wolkenbad und sehen erstmals ins Tal. Nach einer feinen Rösti und einer Tasse Kaffee nehmen wir bei guter Sicht den Rest des Abstiegs unter die Füsse. Dieser erweist sich als positive Überraschung, insbesondere das Stück durch die Planggi, ein breites Wiesen-Tobel, durch das ein angenehmer, grasbewachsener Alpweg hinunterführt. Die groben Felswände und der Herbstwald an den Seiten sowie die grossen Brocken mitten in den Weiden geben dem Gelände ein besonderes Etwas.

image
Spannende Alpwege…
image
… in wilder Landschaft…
image
… bis zuunterst ins Rheintal

So bleibt die Stimmung trotz reduzierter Wetterfreuden gut bis zum Schluss, sogar die Ziegen in Rüthi freuen sich über meine aufmunternden Zurufe. Den griesgrämigen Buschauffeur, der mir mein Büchsen-Bier im Bus per se nicht gönnen will, erdulde ich hingegen gelassen. Schliesslich hat er die Sonne heute gar nicht gesehen.

Tourdatum: 10. Oktober 2015

Kartenausschnitt Kamor (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt

image

2 Kommentare

  1. ….. ist das auch etwas für meine „Frauenwandertruppe“? Geht die Tour für NICHT Schwindelfreie?
    Tolle Bilder – tolle Berichte…… danke Edwin ! Mach weiter bitte……..

Schreibe einen Kommentar zu Eveline Schnorf Antworten abbrechen