Der luftige Chli Windgällen 2987m ü. M.

Der Chli Windgällen in Uri steht schon ewig auf meiner ToDo-Liste. Da die Orientierung im weglosen Schlussaufstieg anspruchsvoll sein soll, warte ich seit langem  auf den „perfekten Tag“, insbesondere auf einen schnee- und eisfreien Gipfel. Heute scheint es so weit zu sein, und tatsächlich gelingt eine grossartige Tour. Sie beginnt und endet bei der Bergstation Golzern, führt direttissima zum Gipfel und im Abstieg über das Untere Furggeli zur Windgällenhütte.

Um zwei Minuten vor Acht springe ich aus dem Auto und hüpfe mit noch offenen Schuhbändeln in das Bähnli, das darauf gleich seine Türe schliesst. „Uff, gerade noch geschafft“, denke ich, nur die Stöcke habe ich liegenlassen. Tant pis, dann eben ohne heute. Wenige Minuten später und 600m höher steige ich aus – und schnaufe noch einmal tief durch. Direkt über mir, aber weit, weit oben thront der angestrebte Gipfel. 200m geradeaus laufen müssen reichen um aufzuwärmen, dann zweigt der Pfad zur Oberchäseren ab. Jetzt wird es gleich steil, sehr steil. Die Sehnen an den Fersen reklamieren heftig, müssen sich aber wohl oder übel daran gewöhnen. Aber die Sonne lacht ihnen zu, und bald ist die Steigmaschine genügend geschmiert.

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Oberchäseren, mit Blick auf den Bristen

Ab Oberchäseren flacht der Weg etwas ab. Ich gönne mir etwas Musse um das wunderschöne Maderanertal und seine Gipfel zu bewundern. Zu meinem Entsetzen bilden sich plötzlich Wolken direkt über mir, und bald tauche ich in die graue Feuchtware ein. Ich rede mir zu, dass die Dinger aufgrund der Wetterlage bald weg sein müssten, aber wohl ist es mir nicht dabei. Ab 2400m wird meine Tour weglos werden, und ohne Sicht geht das nicht. Aber Petrus wollte wohl nur meine Gemütslage testen: Kurz vor der Abzweigung vom blau-weiss markierten Pfad strahlt mich der Chli Windgälle in seiner vollen Pracht an. Ich durchbreche die Wolkenschicht und sehe ab jetzt nur noch stahlblauen Himmel. Bei einer kurzen Trinkpause versuche ich den Routenverlauf zum Gipfel zu entdecken. Dann schaue ich hämisch zur kochenden Nebelsuppe zurück, die noch rund zwei Stunden ihr Spielchen treiben wird.

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Der Weg aus der Suppe öffnet den Blick auf den Chli Windgällen…
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Wolkenspiele, in der Bildmitte das Untere Furggeli (Einschnitt)

Steinmännchen und Wegspuren führen nun über Karstgelände zu Pt. 2581 und danach von Nordosten zum Ostgrat. Das Gelände wird blockig und bald steiler. Auf dem Grat müssen ein paar grössere Blöcke überwunden werden (Kletterstellen II), wobei eine dünne, rund 8m lange Reepschnur den Durchstieg etwas vereinfacht. Dann sehe ich den grossen Steinhaufen, der gemäss den Routenbeschreibungen die nun anstehende Traversierung der etwas ausgesetzten Südflanke anzeigt. Anschliessend folge ich einer Rippe, die zum „spitzen Stein“ führt, ein besonders auffälliges Steinmännchen. Von hier aus führen mehrere Routen zum Gipfelaufbau, ich entscheide mich für die blockige Variante rechts, weiter links ist die schuttige Variante erkennbar. Meine Hände brauche ich so erst am Vorgipfel wirklich, wo eine kurze Passage (Bild unten) mit Kletterstellen I-II überstiegen werden muss. Bis zum Gipfelbuch gibt es dann noch eine kleine Mutprobe zu bestehen. Der Grat ist zuletzt besonders schmal, und ein falscher Schritt oder ein Gleichgewichtsverlust führen zu einem ungewollten Hechtsprung in die Reuss – rund 2500m weiter unten.

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Das Gipfelbuch gibt es erst hier…für Zauderer ist aber auch der Vorgipfel schon schön genug. Im Hintergrund Hüfifirn und Tödi

Die Aussicht ist unbeschreiblich. Der grosse Windgällen, das Maderanertal mit dem Hüfifirn und dem Tödi, der Bristen, die Walliser Giganten und die Berner Grössen in der Ferne, die Spannorts und der Uri Rotstock, das weite Mittelland. Ich kann mich nicht sattsehen und geniesse die Nachwirkungen des Adrenalinschubs.

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Ein mächtiger Zahn, der Grosse Windgällen
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Gipfeleindrücke: v.l.n.r. Von Monte Rosa über Wetterhörner bis zum Spannort – und wer sieht den Arnisee?

Der Abstieg führt über die gleiche Route zurück, wobei die etwas heikle Kletterstelle unterhalb des Steinmanns am Ostgrat auch durch ein Ausweichen in die Nordostflanke umgangen werden könnte. Bei rund 2500m quere ich zum markierten Pfad, der zum Unteren Furggeli führt. Auch wenn der Höhepunkt der Tour ja eigentlich vorbei ist, lohnt sich der etwas weniger steile Umweg zur Windgällenhütte. Schon der seilgesicherte Abstieg vom Furggeli sorgt für etwas Spannung, und die Durchwanderung des vom Stäfelfirn durchpflügten Geländes, das wie ein ausgetrockneter See aussieht, ist ein Erlebnis.

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(Ehemaliges) Gletschergelände, in der Mitte oben die Ostseite des Unteren Furggelis
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Über den Ortliboden geht’s hinunter zur Windgällenhütte, mit Blick auf den Oberalpstock

Danach kommt das Gras zurück, und der Weg führt nun sanft absteigend über den Ortliboden zur Windgällenhütte hinunter. Die Kühe signalisieren die Rückkehr der Zivilisation, und der feine Wurstkäse-Salat in der Hütte tut den Rest. Mit vollem Bauch und tief befriedigt vom bisher Erlebten steige ich alsdann über den Hüttenweg ab. Ein weiteres Highlight bietet später der Blick auf den tiefblauen Golzernsee. Das flache Auslaufen durch Seewen und Hüseren zur Bergbahn runden die schöne Tour ab.

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Hübsch der Golzernsee!

Tourdatum: 22. August 2016

Kartenausschnitt Chli Windgällen (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

6 Kommentare

  1. Hoi Edwin
    Wir hätten uns am Montag zuwinken können! Ich war mit Amanda vis à vis am Rossstock!
    Es war wirklich ein grandioser Tag. Nicht zu warm und wahnsinns Sicht.
    Gruess
    Erhard

  2. Hallo Edwin
    Ein toller Tourenbeschrieb mit schönen Fotos.
    Ich war anfangs August auf dem Chli Windgällen. In der Querung und beim Gipfelaufstieg hatte ich mit Restschnee zu kämpfen. Sofort kam etwas Hochtouren-Stimmung auf. Auf jeden Fall ein lohnendes Gipfelziel.
    Grüsse,
    Chris

    Btw: Schönes Blog!

  3. Sehr schöne Bilder. Ich war vor zehn Tagen auf der Chili Windgällen. Es sieht immer noch ähnlich aus.
    Gruss Thomas

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