Das Blumenmeer am Vättnerchopf 2617m ü. M.

Nach einer rauhen Hochtour im Fels, Schnee und Eis verlangt mein Gemüt häufig nach sanften Blumenwiesen. Genug davon gibt es heute bei der Überschreitung des Vättnerchopfes im Taminatal. Die Alpinwanderung beginnt auf den saftigen, blumenübersäten Weiden des Vättnerbergs und führt über die gelb-weiss leuchtenden Flanken des Vättnerchopfs zu den Pionierpflänzchen, die sich auf dessen kargen Grat ein bescheidenes Leben aufgebaut haben.

Die Bahnfrau in Vättis ist flexibel. Ein Telefon von Gabriel genügt, schon wird uns eine Extrafahrt in der kleinen Gondel ermöglicht. Die rote Kiste hebt uns 600Hm hoch auf die senkrechte Mauer, worauf sich die erstaunlich flachen Weiden des Vättnerbergs ausbreiten. Der Blick aus dem Fensterchen in die Tiefe gewährt dabei einen schönen Einblick in das enge Tobel des Radeinbachs, der sich tief in die Felsen eingegraben hat.

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Das Radeinbach-Tobel aus der Gondel

Wir laufen los und ziehen die morgendliche Frische in unsere Lungen. Das taunasse Gras quietscht unter dem Druck der Schuhe, Millionen von Blumen in allen Farben strecken ihre Köpfchen zur Sonne. In der Ferne bimmeln die Glocken einer Kuhherde, die auf eine höher gelegene Alp getrieben wird. Die friedvolle Ambiance ist Balsam auf die Seele am Ende einer intensiven Arbeitswoche.

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Die Blumen des Vättnerbergs mit dem Gipfelziel im Hintergrund

Bald richten sich unsere Augen auf den Vättnerchopf, der sich als stolzer Wächter dieser Mikrowelt präsentiert. Wir folgen dem Wanderweg zu seinem Ostfuss, die „Sunntigsweid“ auf der Alp Ladils,  und begutachten dort die steilen, grasigen Flanken. Das geübte Auge findet die Idealroute bis zum felsigen Kopf, deren Erklimmung keine besonderen Probleme erahnen lässt. Wir steigen zügig hoch, unterbrochen von kurzen Fotostopps. Diese Blumen! Nach der Hälfte der Steigung erreichen wir einen Gratrücken und erschrecken eine Gämse. Die ist hier keine Besucher gewohnt.

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Im Aufstieg durch die Blumen, Blumen …
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Der Blick zurück zum Plateau des Vättnerbergs
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Da links herum…
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…bis auf den Gipfelgrat

Das letzte Teilstück vor dem Gipfel wird etwas anspruchsvoller. Ein erster Felskopf wird links umgangen, durch Schrofengelände steigen wir auf den Gipfelgrat, mitunter mit Hilfe der Hände. Wir sehen ein stählernes Kreuz, wenige Minuten später reichen wir uns dort die Hand. Leider ist die Sonne inzwischen verschwunden, und der Wind bläst uns etwas ungemütlich um die Ohren. Doch die Softgeljacke leistet umgehend wertvolle Dienste. Wir tragen uns im Gipfelbuch ein und beschliessen, gleich zum namenlosen, etwas höher gelegenen Punkt 2661 weiterzuziehen. Gipfelsammler Gabriel hat noch nicht genug und zweigt für einen kurzen Ausflug zum benachbarten Drachenberg ab. Derweilen mache ich es mir auf dem namenlosen Aussichtspunkt bequem, nehme mein iPad hervor und erledige die wichtigsten Emails.

Wenig später widmen wir uns gemeinsam dem Panorama und dem Proviant. Der Calanda sieht von hier aus eindrücklich aus, bestimmt besser als von Chur, dessen Hausberg er ist. Auch der höchste St. Galler, der Ringelspitz, lässt sich von hier aus gut betrachten. Seine Nordwände ragen fast senkrecht aus dem Gigerwaldsee heraus. Westlich stechen die scharfen Spitzen der Zanaihörner und des Pizols in den Himmel.

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Auf dem Weg zum namenlosen Punkt 2661
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Kahl ist er, der Vättnerchopf. Dahinter die beiden Calandas
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Die Dominatoren des Calfeisentals, Ringelspitz und Sardona Gruppe

Nach der ausführlichen Rast folgen wir dem Gratverlauf, der über spitzkantige Steine im sanften Auf und Ab nach Westen führt. Trotz des Windes macht das viel Spass, mit Bewunderung schaue ich auf die kleinen Pflänzchen, die sich hier wacker den Widrigkeiten des rauhen Klimas widersetzen. Kurz vor der Furggla, wo ein nicht mehr unterhaltener Schäferpfad das Calvina-Tal mit dem Tersol-Tal verbindet, stellt sich uns ein Felsturm (Pt. 2609) in den Weg. Nach Norden oder Süden in die Flanke auszuweichen erscheint wenig ratsam, so erkunden wir den Turm von oben. Und tatsächlich findet Gabriel rasch die Stelle, wo wir mit zwar etwas ausgesetzter, aber wenig schwieriger Kletterei (II) die rund dreissig Meter auf den Pass mit seinem grossen Steinmann hinuntersteigen können. Diese Schlüsselstelle ist wohl der Hauptgrund dafür, dass der Vättnerchopf so wenig besucht wird. Das noch lange nicht volle Gipfelbuch geht ganze 19 Jahre zurück!

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Gratsurfen in Richtung Pizol und Zanaihörner
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Farbe in der Steinwüste
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Gratimpressionen
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Die Schlüsselstelle:  Da geht’s runter zur Furggla

Der Rest ist rasch erzählt. Der Abstieg durch das Calvina-Tal ist ziemlich schuttig, zum Glück liegt noch etwas Schnee, sodass ein Teil hinuntergesurft werden kann. Landschaftlich gibt es nicht viel her, umso wohler scheinen sich die unzähligen Murmeltiere hier zu fühlen. Das Pfeifkonzert will nicht aufhören, wir sollen sie gefälligst in Ruhe lassen.

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Murmeltierland. Links der Mitte der giftige Gratabstieg in die Furggla
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Glückliche Kühe im Schlaraffenland – mit Calandablick.

Bei einer Alphütte, wo die Bäuerin gerade die ungestümen Kälber aus dem Stall lässt und ihre Tochter in einem Mini-Beet Salat anpflanzt, sind wir zurück in der Zivilisation. Von hier aus schlendern wir gemütlich zurück ins Blumenreich des Vättnerbergs. Unser „Taxi“ ins Tal fährt auf Abruf, und wenig später findet unsere Tour auf der Terrasse des Hotels Tamina in Vättis ihr Ende.

Tourdatum: 23. Juni 2017

Kartenausschnitt Vättnerchopf (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt

N.B. Wer den Vättnerberg erwandern will, ohne die Wanderwege zu verlassen, dem/der empfehle ich die Besteigung des Muntaluna, ebenfalls ein prächtiger Aussichtsberg (T3). Der markierte Weg dorthin ist auf dem Kartenausschnitt ersichtlich.

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