Endlich auf dem Bristen 3073m ü. M.

Endlich. Das Wahrzeichen des Kantons Uri musste lange auf meinen Besuch warten. Heute ist es soweit. Der spektakuläre Nordostgrat verhüllt sich zwar weitgehend in Wolken, aber die machen den Kraxelspass zu einem noch intensiveren Erlebnis. Und auf dem Gipfel scheint die Sonne.

Der wahre Urner erklimmt den Bristen von Amsteg aus und macht daraus eine „2500Hm-Kniebrecher-Challenge“, wie ich kürzlich auf hikr.org las. Ich habe im normalen Leben schon genug Leistungsdruck, so konzentriere ich mich darauf, vor allem den obersten Teil der Tour möglichst genussvoll zu erleben. Das Wandertaxi von Sepp Zberg bringt uns vom Talboden des Maderanertals zum Vorderen Etzliboden (1230m). Im Nu stehen wir an der kleinen Holzbrücke, wo die Tour beginnt.

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Etzliboden – rechts der Brücke geht’s hoch

Unser Pfad ist blau-weiss markiert und zeigt gleich seine Zähne. Der Steigwinkel ist ziemlich sportlich und veranlasst zu einem mässigen Tempo. Auf dem ersten Teilstück über die Ostflanke des Bristens zum Laucherlückli sind gleich 1000Hm zu bewältigen. Ich schmunzle zu Rennpferd Remo: „Wir laufen langsam, nur nicht ins Schnaufen kommen, bis zum Gipfel sind es trotz Sepps Taxi immer noch über 1900Hm“. Gesagt, getan. Immerhin bleibt es kühl. Bald werden wir nämlich gänzlich von Wolken umhüllt und erreichen die Lücke und das schimmernde Stahlkreuz des Chli Bristen, ohne mehr als 20 Meter weit zu sehen.

Von der Lücke führt der Pfad kurz und kompromisslos zum Bristenseeli hinunter, dessen vielbesungene Schönheit wir allerdings nur erahnen können. Wir konzentrieren uns indessen voll darauf, die Spur durch die Talmulde zum Nordostgrat zu finden. Das funktioniert zum Glück gut, wir sind aber froh, als sich die Sichtverhältnisse bald bessern. Wir entdecken den überall beschriebenen „grossen weissen Pfeil“ und stehen zwei Minuten später in der Scharte des Nordostgrats.

Die Szenerie ist einmalig. Die Wolken spielen sanft mit den Bergen, der wolkenfreie Oberalpstock schaut gutmütig zu uns hinüber und ermutigt uns zum Weitersteigen.

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Das Wolkenspektakel fasziniert nicht nur uns

Nun beginnen die rund 90 Minuten „Genuss pur“ für Alpinwanderer, die gerne Körperkontakt mit Fels und Steinen haben. Der Grat beginnt zwar einfacher als gedacht. Zunächst sind gute Wegspuren vorhanden, wir behalten die Stöcke noch eine Weile bei uns. Sie helfen schön, um Kraft zu sparen und tun auch der Balance auf der zunehmend steinigen Wegführung gut. Irgendwann ist alles grau und die Hilfsbeine bekommen einen guten Rastplatz zugewiesen. Aus dem Laufen wird nun häufig Kraxeln, Steinmännchen zeigen den Weg. Ein Teil der gröberen Blöcke kann mit kleinen Ausflügen in die Flanken (vor allem in die westliche) umgangen werden, aber wirklich nötig ist es nicht. Die Kletterei übersteigt nie den ersten Schwierigkeitsgrad. Der Fels hält gut, ja sogar viel besser als dieser gigantische Blockhaufen auf den ersten Blick erahnen lässt.

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Der erste Teil des Grat ist noch ziemlich grün – unten in der Mulde das Bristenseeli
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Weiter oben in den Blöcken… (Blick nach unten vom Vorgipfel)
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Der Gendarm, der spektakulär aussieht, aber harmlos zu übersteigen ist
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Gipfelgrat – Grand plaisir!

Ein kleines Kribbeln kommt beim Anblick des Vorgipfels auf, ein stotziges Felstürmchen (Gendarm) kurz nach dem Zusammentreffen von Nordwest- und Nordostgrat. Hier klettert man am besten direkt darüber – leicht ausgesetzt, aber viel weniger riskant als eine Umgehung durch die Flanken. Der Nebel ist wieder dicht, und so entfällt leider das typische „I am the hero“-Foto (hier ein Link zu einem anderen). Dagegen ist es nicht mehr weit zum Gipfel. Das Licht in den Wolken lässt erahnen, dass der Gipfel uns vom Nebel erlösen wird. Und tatsächlich, das schöne rote Steinkreuz glitzert in der Sonne, als wir kurz vor Zwölf dem mächtigen Urner über seine Glatze streicheln.

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Das schöne Gipfelkreuz und ein kurzer Blick auf den Urnersee
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Wolkenspiele am Gipfel

Die Aussicht ist eingeschränkt, der Osten bleibt im Nebel. Eine Wolke spielt mit dem Gipfelgrat, ein veritables Schauspiel. Dafür reicht aber die Fernsicht gegen Westen zeitweise bis zum Weisshorn, und irgendwann sehen wir auch den Urnersee. Es ist komplett windstill, die Gipfelpause wird zu einem Festschmaus, dem wir uns fast eine Stunde hingeben, bald sekundiert von den erfolgreichen „Challengern“ Urs und Fernando.

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Das rote Gipfelgestein, das tiefe Fellital – und wer sieht das Weisshorn?

Der Gipfelerfolg ist erst das halbe Tageswerk. Der Abstieg ist so anspruchsvoll wie der Aufstieg, der Grat verlangt pausenlose Konzentration. Was für ein Gratspektakel – da komme ich wieder!

Beim Bristenseeli scheint inzwischen die Sonne, und auch das Bristenhüttli grüsst schon von weitem. Der vierjährige Renato offeriert uns einen Kaffee, den wir gerne annehmen. Wir plaudern mit den freundlichen Einheimischen und tauschen allerlei Bristen-Latein aus. Etwas später gesellen sich auch Urs und Fernando dazu. Es ist unendlich friedlich, gerne wären wir einfach sitzengeblieben. Aber noch warten die zweiten 1000Hm Abstieg, geprägt vom fantastischen Tiefblick in das Reusstal (Titelfoto).

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Das Bristenseeli, darüber jetzt sichtbar das Laucherlückli und der Chli Bristen (Kreuz)
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Chillen im Bristen-Hüttli

So machen wir uns an den Gwaggel über die steilen Wiesen über die Alp Blacki (auch eine Einkehrmöglichkeit) zum Bristenstäfeli, wonach wir in den Wald eintauchen. Die gewählten Abkürzungen des Fahrsträsschens sind mörderisch steil, aber die Knie halten gut, und bald zweigen wir auf die Traverse zur Alp Breitlaui ein. Wir spekulieren darauf, die letzten 400Hm zum Dorf  Bristen mit dem Privatgondeli der Familie Tresch absolvieren zu können. Als wir auf dem Bauernhof eintrudeln, sitzt die Bäuerin zu unserem Glück mit ihren Enkelinnen vor dem Haus. Sie nimmt sich gerne die Zeit, uns für 5 Franken pro Person zu „seilen“. So nennen das die Maderaner, deren Kinder den (Schul-)weg vorher jahrelang zu Fuss gemacht haben.

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Die schöne Alp Breitlaui über dem Maderanertal, ganz vorne das Bähnli

Wenig später entsteigen wir dem Blechkorb mit „heilen“ Knien und zutiefst zufrieden und bedanken uns gegenseitig für den herrlichen Tag.

Tourdatum: 11. August 2018

Kartenausschnitt Bristen (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

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2 Kommentare

  1. Super Bericht und tolle Bilder von der Bergtour auf den Bristenstock. Ich wünsche Dir, lieber Edwin, viele weitere schöne Erlebnisse in den Schweizer Bergen und freue mich auf die nächsten Beiträge. Vielleicht treffen wir uns auf den einen oder anderen Gipfel wieder. Gruss vom Challenger Fernando 😄

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