Wanderfreund Rolf hat mir vor Jahren schon empfohlen, den Klassiker und Leckerbissen in Liechtenstein zu erkunden: die Überschreitung der Drei Schwestern und des Fürstensteigs. Heute erwische ich den perfekten Tag dafür – und bin begeistert.
Ich bin spät dran. Der Bus fährt mich erst um 10:00 Uhr von Schaan zum Walserdorf Planken hoch. Das Nest liegt etwa 400 m über dem Rheintal, hier startet die Tour. Ich habe leider wenig Augen dafür, denn ich hänge noch in einer Telefonkonferenz. Zum Glück nur kurz, sonst würden meine Gesprächspartner merken, dass sich mein Atemrhythmus rasch ändert.

Es ist schattig und unangenehm kalt, doch der Motor kommt schnell auf Betriebstemperatur. Ein direkter, steiler Pfad kürzt das Fahrsträsschen durch den Bergwald geschickt ab. Viel zu sehen gibt es allerdings nicht ausser Bäumen. Nur kurz blitzen die Zacken des langen Felsgrats über mir hervor. Nach einer Stunde lichtet sich der Wald, und ich erreiche die kleine Alp mit der Gafadurahütte, die wie ein gemütlicher Balkon über dem Tal thront.

Die Wirtin begrüsst mich freundlich auf Vorarlbergerisch. Auch wenn ich weder Durst noch Hunger verspüre, komme ich nicht darum herum, mir ein Getränk und ein Stück Kuchen servieren zu lassen. Ich schmunzle über mich selbst, ziehe die erste Kleiderschicht aus und setze die Sonnenbrille auf. Weiter geht’s.

Von hier zieht sich der Pfad weiter bergan. Bald lichtet sich der Wald, und über den Sarojasattel gelange ich in felsigeres Gelände. Die Drei Schwestern treten ins Blickfeld – markante Felsspitzen, die wie Wächterinnen am Grat thronen. Über den ab jetzt blau-weiss markierten Pfad erklimme ich den Gratrücken. Zunächst noch bewaldet, dann mit dichten Legföhren bewachsen, erreiche ich 1’100 Höhenmeter über Planken den Felsriegel. Jetzt beginnt das Kraxelvergnügen!

Der Steig durch die Felsen verlangt Trittsicherheit. Unsere Vorfahren haben hier Grossartiges geleistet – und das schon am Ende des 19. Jahrhunderts (1898). Der Pfad ist zwar schmal und ausgesetzt, führt jedoch nie aus der Komfortzone geübter Wanderer. Mehr als T3+/T4 ist es nicht. Die Felspassagen sind zwar steil, doch immer wieder helfen Sicherungen, Stahlseile, Leitern und Holztritte über die Hindernisse. Ich kraxle Schritt für Schritt höher, immer wieder staunend stehenbleibend, um noch bessere Fotosujets zu ergattern.


Vor der zweiten Leiter spiele ich kurz mit dem Gedanken, zum Gipfelkreuz der Kleinen Schwester hochzuklettern. Die Griffe wären gut für die kurze Kletterei, doch der exponierte Abstieg danach übersteigt meine Wagnistoleranz. Also folge ich weiterhin dem Steig, der mich bald auf den Gipfel der Grossen Schwester führt.


Die Nah- und Fernsicht ist phänomenal. Die Kalktürmchen der Schwestern sind eine Augenweide, doch bald schweift mein Blick im 360-Grad-Modus über Bodensee, Montafon, Rätikon und Alpstein bis zur Alpenkette. Einfach grossartig! Auch die Aussicht auf die bevorstehende Gratwanderung mit drei weiteren Gipfeln ist prickelnd.


Nach einem kurzen Schwatz und einer Fotosession mit einem Pärchen, das hier oben seinen Hochzeitstag feiert, klettere ich zwischen den Felsblöcken – stets gut seilgesichert – hinunter auf den Pfad, der mich nun in Richtung Norden zum Garsellikopf führt. Ab hier ist es nur noch T3 – normales Bergtourengelände.


Genussvoll surfe ich den flachen Weg zur nächsten Scharte hinunter, bewundere derweilen die Zacken der Garsellitürme und nehme dann den harmlosen Anstieg zum Garsellikopf unter die Füsse. Der zweite Gipfel hat es dennoch in sich, vor allem der Abstieg. Was aus der Ferne unpassierbar wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein kunstvoll angelegtes System aus betonierten Treppentritten und Sicherungsseilen durch schmale Couloirs. Extrem steil, aber ohne Schwierigkeit zu passieren.
Beim folgenden Aufstieg zum Kuegrat, dem höchsten Punkt der Tour auf 2’123 m, schaue ich immer wieder zurück zum Garsellikopf und danke den Erbauern dieses beeindruckenden Werks.

Jetzt ist Zeit für eine Genusspause. Eine Holzbank auf dem Kuegrat mit Südsicht steht wie bestellt für mich bereit. Ich kaue meinen Apfel und den Wurstsalat, teile ein Blevita mit einer bettelnden Dohle, studiere die unzähligen Gipfel in naher und ferner Umgebung und lasse meine Gedanken schweifen. Wie gerne würde ich noch dieses Jahr wieder einmal auf die Schesaplana steigen! Aber sie ist schon ziemlich weiss bepudert, zumindest die Nordseite.


Weiter geht’s zum Gafleispitz, ein kleiner Abstecher vom Wanderweg hinunter zum Gafleisattel. Faszinierend sind die Tiefblicke nach Vaduz auf der rauen Westseite der Bergkette. Danach wird das Gelände, entlang der sanfteren Ostseite des Grats, deutlich gutmütiger; ein endloser Wald von Legföhren ziert den Weg.
Doch ein weiterer Höhepunkt wartet: Auf dem Gafleisattel beginnt der Fürstensteig. Spektakulär in die Felswände gehauen, zieht sich der Weg direkt durch die Flanken des Alpspitzes. Ausgesetzt, schmal, aber gut gesichert – ein Weg, der Herzklopfen und Staunen zugleich hervorruft. Ich bleibe immer wieder stehen, blicke in die Tiefe und lasse Felsen und Weitblicke auf mich wirken. Wow!



Nach diesem intensiven Abschnitt erreiche ich den Ausstieg des Felsenspektakels oberhalb von Gaflei. Der Charakter des Weges ändert sich, die Ausgesetztheit nimmt ab, und der Pfad führt in langen Kehren hinunter Richtung Gaflei. Die Muskeln melden sich beim Abstieg, doch der Gedanke an die vollbrachte Runde trägt mich. Nur ein komplett abgefressenes Gemsskelett am Wegrand (ich erspare Euch das Foto) bringt mich kurz ins Schaudern.

In Gaflei angekommen (bei der Klinik gibt es ein Café und eine Bushaltestelle), denke ich voller Genugtuung zurück an die Felszacken und Grate, die ich durchstiegen habe. Es war eine Tour, die alles bietet: stille Waldwege, schroffe Kletterpassagen, ein legendärer Steig und Ausblicke, die man so schnell nicht vergisst. Anspruchsvoll, ja – aber genau deshalb unvergesslich!
Tourdatum: 2. Oktober 2025
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Kartenausschnitt Drei Schwestern (pdf)
P.S. Und zum Schluss noch etwas zur Legende der Drei Schwestern und zur Geschichte der Kunstbauten:
Die Legende der „Drei Schwestern“ (Liechtensteinische Version): Drei Schwestern suchten am Berg nach Beeren, anstatt einen kirchlichen Feiertag zu achten. Auf dem Abstieg ignorierten sie die Bitte einer Frau – die sich später als Jungfrau Maria herausstellte – ihr ein paar Beeren zu geben. Als Strafe für ihre Arroganz und die Missachtung des Feiertags wurden die drei Mädchen zu Stein und verwandelten sich in die markanten Felsen der „Drei Schwestern“ und wachen seither über das Rheintal.
Zur touristischen Erschliessung dieser Gratwanderung wurde der Fürstensteig 1898 erstellt, vom damaligen Fürsten von Liechtenstein finanziert. Er muss allerdings jedes Jahr im Frühjahr gepflegt und repariert werden. „Der Berg schafft“. Der Steig über die Drei Schwestern wurde zeitgleich von Vorarlberger Bergvereinen erstellt und finanziert. Anbei der Link zu einem kurzen Video zum Fürstensteig.