Die Eiskathedrale der Cabane de Mountet

Vor 20 Jahren wanderte ich mit meinem Vater von Zinal zur Cabane de Mountet, überquerte den Zinalgletscher und stieg auf der anderen Talseite wieder hinunter ins Dorf. Eine lange, wunderschöne Tour, die sich tief in mein Gedächtnis eingegraben hat. Heute wiederhole ich sie – nicht ganz gleich, aber ähnlich. Diesmal endet sie auf dem Rücken der Gletschermoräne, in der Cabane de Petit Mountet. Ein Basislager für das morgige Abenteuer.

Unser öV ist schon genial: Um 6.02 Uhr steige ich in Zürich in den Zug nach Visp, und kaum vier Stunden später bin  ich am anderen Ende der Schweiz bereit, loslaufen. Das Postauto hält am Rand des schmucken Walliser Dorfs. Ich bedanke mich beim Chauffeur, ziehe die Riemen meines Rucksacks fest und mache mich auf den Weg. Der Himmel ist bedeckt, noch wirkt es wenig einladend. Aber ich vertraue dem Wetterbericht und trotte zügig das Fahrsträsschen entlang, der Navisence folgend, hinein ins enger werdende Tal. Und tatsächlich: Schon bald streifen die ersten Sonnenstrahlen meine Wangen und wecken die Glückshormone. Bis das Strässchen endet, dauert es noch eine Weile – doch mein Körper ist inzwischen schön warmgelaufen.

Es beginnt flach …
…. dann wartet die Flanke des Besso

Dann wird’s ernst. Hinter der zweiten Brücke schwingt sich der Weg steil die Flanke hinauf. Unten im Tal türmen sich gigantische Moränenwände – stumme Zeugen aus Zeiten, als der Zinalgletscher noch mächtig und dick hier lag.  Durch Büsche, Kraut und über wuchtige Blöcke schraube ich mich höher, bis der Höhenweg erreicht ist – ein schmaler Faden, der mich in den wilden, geheimnisvollen hintersten Teil des Tals führt.

Das Gletschertal und der Grand Cornier
Steiler Flankenaufstieg durch das Kraut

Eine Tafel erinnert an die Militäreinheit, die diesen Pfad vor gut 30 Jahren neu angelegt hat – ein Meisterstück. Nicht alles ist noch passierbar: Eine neue, solide einbetonierte Hängebrücke hilft über eine Schlucht hinweg. Die alte Schlüsselstelle, eine Galerie am Fuss der Felsen, ist wohl dem Steinschlag zum Opfer gefallen.

Ein Highlight für Menschen ohne Höhenangst – die neue Hängebrücke

Später führt nun eine gut kettengesicherte Steilstufe weiter. Dann öffnet sich der Blick in die hinterste Geländekammer – und ich erlebe denselben „Wow“-Moment wie damals mit meinem Vater. Vor mir erheben sich Obergabelhorn, Trifthorn, Mont Durand, Zinalrothorn und Dent Blanche – eingerahmt von gewaltigen Eismassen. Eine Kathedrale aus Stein und Eis. Die Szenerie ist so überwältigend, dass mich ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht und Demut erfasst. Ich atme tief durch, um dieses Bild in mir zu speichern.

Der Wow-Moment ….
Nach vielen vielen Blöcken erreicht man endlich die Hütte…

Der Weg durch das Blockgelände verlangt Aufmerksamkeit. Immer wieder bleibe ich stehen, um ein Foto zu machen – als könnte die Kamera das einfangen, was doch nur das Herz wirklich begreift. Eine gute halbe Stunde später erreiche ich die Cabane de Mountet – ein Adlerhorst, einzigartig eingebettet in dieser Eiswelt. Zeit für eine ausgedehnte Mittagspause und eine deftige Käserösti, die mir die Hüttenwartin serviert.

„Wie ist die Gletschertraversierung?“, frage ich sie. Sie lächelt und meint: „Wenn du dir das antun willst, dann geh. Aber es ist keine Gletschertraversierung mehr, sondern ein mühsames Gwaggel durch eine Steinwüste. Bewahr dir lieber deine Erinnerung.“

Sie hat wohl recht, denke ich. Trotzdem schaue ich später neugierig über den Moränenrand hinunter. Und tatsächlich: Vom Gletscher ist kaum mehr Eis zu sehen, er liegt fast völlig unter Geröll begraben. Zwei Holländer, die sich an den Übergang gewagt haben, brauchten mehrere Stunden dafür – besonders glücklich wirken sie nicht gerade.

Der Dent Blanche beherrscht das Talende. Davor fliessen der Glacier du Grand Cornier und der Glacier Durand
Manche machen Fotos, andere malen…. alle geniessen

Also kehre ich um und nehme denselben Weg zurück. Und das passt gut: Denn Erinnerungen lassen sich auch beim Zurückwandern wunderbar pflegen. Drei Stunden brauche ich für Abstieg und Wiederaufstieg zur Cabane de Petit Mountet, die frech auf dem Rücken der gegenüberliegenden Moräne thront. Die letzten 300 Höhenmeter tun etwas weh – aber das Bier auf der Terrasse schmeckt dafür umso besser.

Im Abstieg über die Besso-Flanke
Cabane de Petit Mountet – Blick zurück zu Grand Cornier und Point de Zinal
Die Hütte auf der Moräne mit Blick auf das Weisshorn

Tourdatum: 3. September 2025

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Kartenausschnitt Grand Mountet

 

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