Brexit auf dem Suggiturm 2084m ü. M.

Manche Touren bleiben nicht nur aufgrund des Bergerlebnisses in Erinnerung, sondern auch infolge weltpolitischer Ereignisse. So heute der Brexit, der mich um 05.40 Uhr begrüsst und während des Tages für viel Aufregung sorgt. Doch auf dem Suggiturm mit seinen Steinbockkolonien, hoch über dem Brienzersee, und mit Eiger, Mönch und Jungfrau vor Augen, wird alles relativ. Zum Glück.

Wir beginnen auf dem Dorfplatz von Ringgenberg zu laufen, wenig entfernt von der Ferienwohnung der Familie Frutiger, wo wir Kinder neun grossartige Sommer unserer Jugend verbracht haben. Über vierzig Jahre ist es denn auch her, als wir letztmals von hier aus die 1500 Höhenmeter unter die Füsse nahmen, um durch das Graggentor auf den Suggiturm zu steigen.

Es ist heiss und wir sind nicht unglücklich, dass die äusserst steilen ersten neunzig Minuten mehrheitlich durch dichten Wald führen. Ich beneide Pauline um ihre ultraleichte Mountain Running Ausrüstung – das muss ich mir jetzt dann auch zutun. Immer mal wieder erlaubt eine Lichtung den Blick (und damit verbunden eine Verschnaufpause) auf den türkisblauen Brienzersee, der schnell kleiner wird. Auf der anderen Seeseite zeigen sich über der Schynige Platte zuerst Breithorn und Grosshorn, danach Fiescherhörner, Mönch und Eiger. Nur die Jungfrau ziert sich zunächst noch und versteckt sich hinter Cumuli.

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Im Aufstieg über Ringgenberg. Im Hintergrund Interlaken, Sulegg und Schwalmern

800 Meter über dem See erreichen wir das „Weidtli“ und schauen ehrfürchtig auf die langgezogenen, rund 200 Meter hohen Fluewände, die uns noch vom Grat trennen. Der Pfad führt seilgesichert durch das Graggetor, ein faszinierendes Felsloch, das gleichzeitig den einzigen Wanderdurchgang durch die Felsen bietet. Sehr steil schlängelt sich der Pfad stufenartig nach oben, um schliesslich das „Graagge Rächtli“ unterhalb des Grats zu erreichen. Dessen prächtige Wiesen werden übrigens immer noch von Hand gemäht, Subventionen sei dank.

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Das Graggentor
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Der Blick zurück durch das Felsentor auf Eiger und Mönch

Einmal auf dem Grat angekommen läuft es sich dann einfach. Die Alpweiden sind saftiggrün und strotzen vor Blumenvielfalt. Genusswandern nennt man das, wenn links und rechts grossartige Fern- und Tiefblicke zu bewundern sind, und der formschöne Suggiturm immer näher kommt. Der verlangt dann allerdings noch ein paar Tropfen Schweiss. Da die Sicht aber so schön ist (dieser Brienzersee ist einfach eine Wucht ) und immer wieder zum Fotohalt verleitet, kommen wir nicht ausser Atem. Einmal oben angekommen sieht man aber schon, was an Steigung geleistet worden ist – Ringgenberg hat nur noch Modelleisenbahn-Charakter.

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Der Suggiturm – ein wahrlich eleganter Gipfel

Die Gipfelfreude teilen wir mit ein paar gefrässigen Dohlen und mit Wanderern, die von der nahen Lombachalp kommen. Nur die Steinböcke fehlen, sie sind vor der Wärme geflüchtet und haben sich auf der Schattenseite der Fluhen unter uns zum Ruhen hingelegt. Zu weit weg, um sie mit dem iPhone einfangen zu können.

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Nein, sie braucht keinen Sauerstoff nach dem Aufstieg – aber so trinken die modernen Ausdauersportler wie Pauline.
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Wo gibt es Schöneres zu sehen?

Für den Abstieg wählen wir den Gratweg zurück und folgen ihn bis Harderkulm, wo eine Seilbahn nach Interlaken hinunterführt und mithelfen wird, 700 Meter schwerste Kniearbeit zu sparen.

Bis zur Roteflue ist die Route fantastisch. Der See, die Viertausender, der Blick auf das beschauliche Habkerntal mit Niederhorn, Sieben Hengsten, Hohgant und Schrattenflue. Bei Horet weist ein kleiner Wegweiser zur Hütte des Skiclubs Ringgenberg mit seinem Getränkelager (Selbstbedienung). Der kleine Umweg lohnt sich, die Blockhütte klebt wie ein Adlerhorst spektakulär unter den Felsen – und das kühle Schorle kommt auch gerade recht. Weil der Geldschlitz in der Türwand kein Rückgeld gibt, reichen die reingeschobenen 10 Franken für ein zweites Fläschchen.

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Der Gratweg vom Suggiturm führt über die Rotefluh zum Harderkulm
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Der Adlerhorst des Skiclubs Ringgenberg

Die letzte Stunde ist dann sehr waldig, dafür wiederum schattig. Zunächst freuen wir uns über die knorrigen Bäume, sind dann aber doch froh als der wurzelübersäte Weg ein Ende findet.  So erreichen wir „Top of Interlaken“ mit seiner einladenden Terrasse. Und schau her – jetzt zeigt sich auch die Jungfrau noch. Wir geniessen unsere Glacés und das kühlende Panaché und lassen uns dann zusammen mit Touristen aus aller Welt zufrieden nach Interlaken hinunterfahren.

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Die Jungfrau zum Dessert…

Tourdatum: 24. Juni 2016

Kartenausschnitt Suggiturm (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt

3 Kommentare

  1. Das sieht wirklich wunderbar aus – mit den Tiefblicken auf den See und in die Berner Alpen. Macht „Glust“ zum Nachmachen.

    • Es geht auch etwas weniger schweisstreibend. Von Habkern fährt um 8.30 ein Alpentaxi zur Lombachalp. Da startest Du dann schon auf rund 1550m. Das Graggentor lässt sich auch im Abstieg bewundern wenn deine Knie das mitmachen.

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