Heute liegt nicht viel drin, der Himmel ist voller Wolken, und um 17.00 Uhr beginnt die Maturfeier von Yael. Ich entscheide mich für den Widderfeldstock. Letztes Jahr reichte die Zeit nicht mehr für ihn, als ich mit Arno den Schluchigrat überschritt. Eine kurze Tour, aber aufgrund der Wettersituation wird daraus etwas ganz Besonderes.
Ich parkiere bei der winzigen Talstation der Alpbahn in Mettlen, die mich in zwei Etappen auf das Eggendössli hieven soll. Ich nehme den Telefonhörer zur Hand und melde die Fahrt an. Die ferne Stimme meint, ich solle gleich einsteigen. Da ich noch etwas im Auto vergessen habe, dauert das etwas. Da schrillt ein Signal und die Kabine setzt sich ohne mich in Bewegung. Instinktiv springe ich in letzter Sekunde in die hölzerne Gepäckablage und komme so zu einer Open-Air-Fahrt. Ich schüttle meinen Kopf über meinen Leichtsinn und denke mir eine Ausrede aus, um die oben wartende Bäuerin zu besänftigen. Die nimmt es aber gelassen und verkauft mir ihr (viel zu billiges!) Retourbillet (15 Fr.). Die zweite Fahrt erfolgt gesittet in der Blechkiste, und bald steige ich auf Eggendössli aus.
Der Wanderweg führt zunächst durch Blumenweiden, die auf den nahenden Kahlfrass durch die zahlreichen Kühe warten, die hier gerade angekommen sind. Bei der Hüethütte zweigt der Pfad zum Storeggpass ab, den ich eine knappe halbe Stunde später erreiche. Der Blick zum wolkenverhangenen Widderfeldstock versprach bisher nicht viel Gutes, und so bin ich überrascht, die Westseite des Passes fast wolkenlos aufzufinden. Weit unten schimmert das Türkisblau des Sarnersees, und aus der Ferne grüsst die frisch verschneite Jungfrau aus dem Berner Oberland.
Ab hier ist die Route nicht mehr markiert, aber gut zu erkennen. Ich steige entlang des Grasgrats hoch und erreiche bald die Felsbarriere, die durch den „Chrachen“, ein steiler Graben, durchbrochen wird. Stahlseile helfen die etwas glitschige Felspassage zu passieren. Wenig später entschlüpfe ich dem Engpass und stehe im tiefen Gras der Hohmad. Es wird nun immer nebliger und ich muss aufpassen, dass ich die Orientierung nicht verliere. Fast lasse ich mich von einem alten Schäferpfad täuschen, der in die Ostflanke führt. Ein Blick auf die Karte bestätigt – immer der Gratkante folgen! Mit zunehmender Steilheit wird aus dem tiefen Gras eine Magerwiese, die später in ein Schuttfeld übergeht. Gute Spuren und viele rote Markierungen machen die Wegfindung jedoch problemlos. Ich frage mich, warum dieser schöne Aufstieg nicht Teil des markierten Wandernetzes ist, über eine T3 (weiss-rot-weiss) geht es nie hinaus.
So erreiche ist das westliche Ende des langen Gipfelgrats. Die Wolken lichten sich leider nicht, immerhin finde ich das Gipfelsteinmännchen auf Anhieb. Es bläst ein kühler Wind, und ich beginne mich schon damit abzufinden, dass die heutige Tour eher als Lauftraining anstatt als Genusserlebnis abgehakt werden muss. Doch dann kommt Alles anders: mit dem stärker werdenden Wind beginnen die Wolken zu tanzen, zuerst nur über mir, dann an der Gratkante, bald auch in der Distanz. Im Rhythmus des Tanzes wende ich mich in alle Richtungen, um die Snapchats der Umgebung zu erwischen. Mal zeigt sich der stolze Titlis, mal die zerklüftete Spannortgruppe, später das nahe Nünalphorn und schliesslich die weisse Berner Prominenz. Nur der Norden bleibt eine graue Wand – keine Sicht ins Mittelland. Na also – doch ein Genusstag! Und mit der Sonne kommt auch die Wärme, die eine gemütliche Picknick-Pause erlaubt.
Der Abstieg erfolgt über die Wiesen der Südflanke nach Bocki-Rotesand, hier stehen auch wieder Wegweiser. Die markierte Route führt durch verschiedene Geländekammern abwechslungsreich zum Lutersee hinunter. Im „Bocki“ genannten, steinigen Talkessel zeigt sich der Widderfeldstock von seiner besten Seite. Auch der Wolkentanz geht munter weiter – mal zeigen sich die Walenstöcke, mal der Brisen, dann ist wieder alles Grau.
Steil geht es nun hinunter über Ober Frutt zum See. Der Pfad ist hier arg überwachsen, die Kraft des frühen Sommers offenbart sich: Es wird viel Biomasse produziert! Da wird der Wanderwegdienst viel Arbeit vor sich haben. Da es nun schon etwas tropft, lasse ich das geplante Bad im hübschen See bleiben und folge zügig dem Pfad zurück nach Eggendössli. Als ich wieder in das Bähnchen steige, schliesst sich der Wolkenvorhang ganz. Glück gehabt!
Als am Abend die Finger von Yael über das Klavier gleiten und die Nocturne von Chopin erklingen lassen, schliesse ich die Augen. Die Wolken vom Widderfeldstock tanzen nochmals mit.
Tourdatum: 30. Juni 2017
Wie gut ist der Widderfeldstock machbar für eine normale Berggängerin aus Obwalden?
Liebe Andrea
Mach die Route umgekehrt- dann ist sie markiert bis zum Gipfel. Du gehst dann den gleichen Weg zurück.
Meine Aufstiegsvariante ist zwar nicht schwierig, aber nur schwach markiert.