Der stotzige Piz Güglia 3380m ü. M.

Der Piz Güglia – oder zu deutsch Piz Julier – ist neben der Bernina-Gruppe einer der eindrücklichsten Engadiner. Wie eine Trutzburg überragt der freistehende Granitklotz den Julierpass und wacht über Oberhalbstein und Oberengadin. Seine Besteigung ist ein kurzweiliger Leckerbissen. Die blauweiss markierte Route ist ab der Fuorcla Albana bestens kettengesichert und lässt keine Wünsche offen.

Das Team des Hotel Salastrains oberhalb von St. Moritz meint es gut mit mir. Anstatt um 8.00 kann ich um 7.00 frühstücken. Auch wenn die Tour nicht lang ist, will ich zeitig losziehen. Es wird heute heiss, und bald werden Quellwolken die Bergkränze verhüllen. Eine knappe Wegstunde bringt mich an den Fuss der stotzigen Güglia. Sie führt sanft steigend über einen breiten Wander- und Bikerweg, an der mondänen Paradiso-Beiz vorbei, ins San Murrezan-Tal. Der Blick auf die grossen Seen sorgt für Kurzweile, das Gehüpfe der Murmeli tut den Rest. Bald sehe ich das Tagesziel, das in der Morgensonne glänzt. Nun zweigt der Bergweg ab, der entlang des Bachs hochführt und den eindrücklichen Julier-Blockgletscher umgeht. Zeit für eine kurze Pause, Fotos, ein Schluck Wasser aus dem Bach.

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Schlendern an der Morgensonne hoch über den Seen…
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Das Tagesziel im grellen Morgenlicht. Noch ist es wolkenlos
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Postkartenlandschaft im Suvretta di San Murrezan

Jetzt muss der Motor richtig angeworfen werden, denn die Steigung der hier jetzt blauweiss markierten Route ist heftig. Zunächst geht es im Zickzack den Grashang hoch, auf 2600m drehe ich in die Talmulde unterhalb der Fuorcla Albana ein. Hier wartet ein See von Blöcken und Schutt. Doch der Pfad ist ein richtiges Meisterwerk, die gröbsten Blockpassagen sind mit Kies aufgefüllt und ermöglichen ein einfaches Durchmarschieren. Unweigerlich denke ich an die wundersame Flucht von Moses mit den Israeliten über das rote Meer. Eine schöne Rückblende in meine Kindheit, als unser Vater uns jeden Morgen eine Geschichte aus der Kinderbibel vorlas. Einige Schweisstropfen später erreiche ich die Fuorcla.

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Im steilen Aufstieg zur Fuorcla. Faszinierend dieser Blockgletscher!
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Der wundersame Weg durchs Blockmeer zur Fuorcla Albana

Jetzt ändert die Szenerie komplett. Vor mir liegt der spektakuläre Gratweg, der in einem unregelmässigen Bogen zum Piz Güglia dreht. Wer es nicht besser weiss, kann sich nicht vorstellen, dass ein Hochkommen ohne alpinistische Hilfsmittel möglich ist. Ich deponiere meine Stöcke in der kleinen Schutzhütte und mache mich freudig an die Erklimmung des Granits. Und das hat es in sich: Einfache Wegpassagen und einfache Kraxlerei sorgen für viel Abwechslung. Dort wo es nur ein bisschen heikel oder ausgesetzt wird, vermitteln Ketten Sicherheit und geben den notwendigen Halt. Die Route führt mal südlich, mal östlich und nur selten nördlich des Blockgrats zum massigen Aufbau des Vorgipfels, wo die Route dann klettersteigähnlich wird. Zwischendurch bleibe ich fasziniert stehen, die Aussicht wird immer gewaltiger. Der Blick zur Bernina-Gruppe, hinunter auf den Julierpass, auf den schwindenden Gletscher unterhalb der Nordwand, in die Albula-Ferne zum Piz Ela, zum Piz Kesch… super!

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Ein Leckerbissen! Blick über den Grat zum Vorgipfel des Piz Güglia
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Im unteren Teil des Grataufstiegs, noch ist der dreigipflige Piz Albana höher
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Gratimpressionen
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Tiefblick vom Grat zum Vadret Güglia
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Tolle Passagen rund um die Blöcke. In der Ferne der Biancograt

Nur das Wetter beunruhigt. In einer schier unglaublichen Geschwindigkeit beginnen sich Wolken zu bilden. „Nur nicht im Nebel landen“, grummle ich, und lege beim Speed noch etwas zu. Ich erreiche den Gipfel gerade noch im Sonnenschein, ehe sich eine Wolke an die Südwände drückt. Ich begrüsse ein Pärchen, eine Mutter mit ihrem Sohn, in voller Bergsteigermontur. Das wäre eigentlich nur bei Nässe nötig, aber das wissen sie inzwischen selber auch. Wenig später trifft Tomas ein, ein netter Pole, mit dem ich mich solange bestens unterhalte, bis sich die Wolke wieder vollständig verzogen hat und wir gemeinsam die Schweizer Geografie in Echtzeit durchnehmen.

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Bitte nicht! Blick nach St. Moritz. Piz Languard links oben
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Gipfelblick zur morgigen Route und zu den Bergeller Gipfeln
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Gipfelblick nach Nordwesten: Tschima da Flix, Piz Calderas, Piz Ela

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Nach über einer Stunde Genusspause verlasse ich den Gipfel und nehme den Abstieg unter die Füsse. Zurück auf der Fuorcla entscheide ich mich, über die gleiche Route abzusteigen. Die eigentlich geplante Fortsetzung hinunter zum Julierpass sieht mir zu wenig spannend aus, ich will lieber nochmals zurück zur Aussichtskanzel Salastrains. Dort kochen sie ganz gut, beim Gedanken an das Gemüsegazpacho läuft mir noch jetzt das Wasser im Mund zusammen.

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Zum Schluss nochmals die Seen – auch mit Wolken wunderbar

Am Abend bin ich zum Geburtstagsessen einer St. Moritzer Freundin eingeladen. Von Jäger Marco, Wildhüter Flurin, Wanderführer Andrea und Galeristin Monica lerne ich so viel über das Engadin, dass ich mehr als zufrieden ins Bett steige. „Jetzt bist Du bereit für die nächste Region der Transversale“, schmunzle ich dankbar, bevor sich meine Augen schliessen.

Tourdatum: 26. Juli 2018

Kartenausschnitt Piz Güglia (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhen- und Zeitangaben

 

2 Kommentare

  1. Pingback: Edwin wandert

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