Mit Spikes über den Surenen

Die Wanderung von Altdorf über die Surenen nach Engelberg ist ein Klassiker, der so manchen an blasenreiche Schulreisen erinnert. Viele Kilometer und Höhenmeter, nicht besonders schwierig. Doch an einem wolkenreichen Junitag im Kaltfrühlingjahr 2021 ist auch das eine echte Bergtour. Ohne Spikes hätte der Surenenpass mich nicht durchgelassen. Und die Wolken sorgen für begeisternde Kulissenwechsel.

In Attinghausen schnappe ich das Mini-Seilbähnli nach Brüsti. Das spart gleich mal 1000 Höhenmeter und sorgt für gute Stimmung. Denn der Himmel ist viel weniger bewölkt als befürchtet, und die Sicht im frisch gewaschenen Reusstal glasklar. Die Urner Mitpassagiere wollen am Wochenende das Bergbeizli eröffnen und warnen mich vor dem vielen Schnee am Pass. „Ich komme schon durch“, murmle ich mehr mir selber als ihnen zu.

Bahnrückblick mit noch nassen Scheiben…
Auf dem Gratrücken des Brüsti – mit Blick auf den Brunnenstock

Der Weg folgt dem Gratrücken mit etwas Auf und Ab zum Ängistock. Es läuft sich gut, die Luft riecht einfach herrlich nach einer Regennacht. Die vielen Blümchen schütteln sich die letzten Wassertropfen ab und richten dann ihre Köpfchen zur Sonne. Meine Blicke wandern vorerst noch durch das Reusstal und die Bergketten rund um die Windgällen auf der gegenüberliegenden Seite.

Rückblick zu den Eggbergen und den Schächentaler Gipfeln

Doch bald richtet sich der mächtige Brunnistock vor mir auf. Neben ihm sichte ich die Schneemassen an den Flanken unterhalb des Surenenpasses. „Uff, das ist doch mehr als ich dachte“, stelle ich fest. Die Spikes und die Stöcke werden ihre Dienste tun müssen.

Rechts kommt bald der Pass in Sicht

Auf dem Ängistock ziehe ich die Eisenkettchen über meine TX4 und schraube die Stöcke auf die richtige Höhe. Dann geht der Eiertanz los. Denn das Schräghanglaufen über Firn und Lawinenkegel verlangt doch einiges an Konzentration. Gleichzeitig scanne ich die Wände des Brunnistocks: „ob da wohl noch mehr Nassschneee hinunterfallen kann?“ Aber da ist zum Glück nichts mehr. Am Fuss des steilen Schlussaufstiegs zum Pass halte ich etwas länger ein. Eine rund vier Meter hohe Wächte an der Krete lässt mich die Aufstiegsroute sorgfältig auswählen. Denn niemand will hier lesen, was passiert, wenn das Ding direkt über einen Wanderer abbricht. So visiere ich schliesslich die Gratkante etwas 200 links des Passes an, wo die Wächte nur noch wenige Dezimeter dick ist.

„Lang Schnee“ heisst diese Stelle auf der Karte. Aber mit so viel hatte ich nicht gerechnet
Die Wächte am Pass ist bedrohlich – also rechtzeitig links ausweichen!

„Hallo Obwalden!,“ rufe ich dem Titlis zu, dessen senkrechte Ostwand mich aus der Ferne grüsst. Ich stehe hingegen immer noch im Kanton Uri. Wie auf der anderen Seite des Reusstals beim Klausen (Urnerboden auf der Glarner Seite) haben sich die Urner nämlich auch hier einst eine Talschaft jenseits der Wasserscheide erobert. Bis vor den Toren Engelbergs reicht ihr Herrschaftsgebiet.

Blick auf die noch weissen Surenen – am Horizont der mächtige Titlis

Aber was kümmerts mich! Ich setze mich über der Passwächte zu den Enzianen, packe mein Sandwich aus und telefoniere ein Weilchen mit Noëlle, derweil immer mehr Wolken die Sicht auf die umliegenden Gipfel verdecken.

Der Abstieg ist technisch harmlos. Nur noch ein paar wenige Schneefelder unterhalb der kleinen Schutzhütte, dann bald ein Pfad, der schon vor der Alp Blackenboden zum Weg mutiert und dort zum Alpsträsschen wird. Das hat den praktischen Vorteil, dass ich mich intensiv dem geologischen Studium der Umgebung widmen kann. Ich bestaune zunächst die Wände des Wissigstocks und die zahlreichen Lawinenkegel darunter. Wie muss es hier gedonnert haben! Dann folgen meine Augen dem Bachlauf. Die wilden Wasser toben, die Schneeschmelze ist voll im Gang. Wie tief sich das Wasser in das Gelände hineingegraben hat!

Der eindrückliche Talkessel am Blackenboden. Links oben der Wissigstock
Wasserkraft …

Bei den Stäuberfällen muss ich mich entscheiden: direkt hinunter ins Tal oder oben durch, leicht steigend (200Hm) zur Fürenalp? Der Blick zum just wolkenfreien Gipfel des grossen Spannorts nimmt mir den Entscheid ab: Ich bleibe oben. Es folgt nun ein Schaulaufen durch Blumenfelder entlang dieser eindrücklichen Felstürmen des Schlossbergs und der beiden Spannorts, mystisch umgarnt von den Wolken, die Szenerie wechselt im Minutentakt…

Eindrückliche Spannorte

Aber auch der Titlis will wahr- und aufgenommen werden, ein paar Kühe drängen sich mit aufs Bild. Nach einer letzten knackigen Steigung stehe ich schliesslich vor der frisch renovierten Fürenalp-Beiz. Das Wetter ist gerade noch gut genug, um draussen eine Gerstensuppe zu schlürfen. Derweilen denke ich gerne an meine letzten Besuche an diesem schönen Ort zurück. Zweimal mit Lea, aufschnaufend nach dem Durchstieg der Fürenwand (Klettersteig), einmal mit Walter, hinuntertrudeln vom Wissberg nach der steinigen Rotbandleiter-Tour.

Hornpracht (siehe hinten :-)) und Titliswand

Nach dem zweiten Kaffee und einem feinen Stück Apfelkuchen lasse ich mich in der kleinen Kabine über die Fürenwand ins Tal hinuntergondeln. Der gemütliche, rund einstündige Spaziergang entlang der Aa zum Bahnhof Engelberg rundet den gelungenen Tag ab.

Tourdatum: 23. Juni 2021

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

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