Vom Gigerwald auf den Pizol

Mein Ziel: der 2.844 Meter hohe Pizol – ein Klassiker. Alle, die die 5-Seen-Wanderung einmal gemacht haben, kennen seine markante Silhouette. Heute möchte ich ihn jedoch durch die „hintere Tür“ besuchen – über das abgelegene Tersol, aus dem Gigerwald.

Das Calfeisental ist abgelegen, schmal und eindrucksvoll. Fast eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Postauto von Bad Ragaz durch das Taminatal nach Vättis und weiter bis unterhalb der Staumauer des Gigerwaldsees. An der Endstation beginnt meine Tour. Da der erste Bus erst kurz vor 9:30 Uhr ankommt, steht die Sonne bereits ziemlich hoch und brennt. Umso mehr bin ich froh, dass das erste Teilstück durch Wald und im Schatten der zerklüfteten Hänge verläuft.

Der Einstieg in das Tersol war früher ein abenteuerliches Unterfangen. Heute, dank eines neuen Alpwegs, ein eher entspanntes Erlebnis. Bis zum Punkt 1581 liegt meine volle Aufmerksamkeit auf der Umgebung und nicht auf dem Boden unter meinen Füßen.

Der Tersolbach hat sich tief in die Schlucht eingegraben

Dann wird der Pfad schmaler und windet sich steil nach oben, eng an den Berg geschmiegt, bald unter einem plätschernden Wasserfall hindurch schleichend. Nach den ersten 750 Höhenmetern stehe ich auf der Kante der nächsten Geländekammer – den einladenden Alpweiden des Tersols.

Das Tersol – ein einsamer Ort für Kühe und Murmeltiere. Am Talende der Pizol

Das nächste Teilstück verläuft zunächst sanft und idyllisch: Saftige Wiesen, leise plätschernde Bäche, ein paar Kühe und pfeifende Murmeltiere. Je höher ich steige, desto schroffer wird das Gelände. Die Wegspuren verlieren sich, die Landschaft wird rauer, und der Anstieg immer steiler. Die Blümchen werden kleiner und karger.

Rauh aber gleichmässig diese Talmulde…

Eine echte Herausforderung stellt der Aufstieg zum Punkt 2.694 auf der Gratkante dar. Hier wartet ein steiles Couloir, das immer unwegsamer wird. Lockeres Geröll, ausgewaschene Rinnen und steile Flanken fordern volle Konzentration und gute Trittsicherheit. Ich halte mich ganz links, um mich an den festen Felsen festhalten zu können. Zum Schluss durchquere ich noch ein kleines Restschneefeld, bevor ich den gutmütigen, breiten Grat erreiche. Zwei, drei tiefe Atemzüge, dann geniesse ich die prächtige Aussicht!

Das steile, ohne Wegspuren anspruchsvolle Couloir vor dem Felskopf

Der Gipfel des Pizol liegt nun gleich vor mir. Das Gelände ist weniger steil und das Gehen angenehmer. Bald erreiche ich den Pizolsattel und blicke hinunter zum Wildsee. Doch zuerst geht es nach links zum Gipfel. Einige Stahlseile helfen mir, über die Blöcke hinweg zum markanten Kreuz auf dem höchsten Punkt der Grauhörner. Oben angekommen – welch ein Panorama! Der Blick reicht von den Glarner Alpen über die Bündner Berge bis weit in den Alpstein. Und tief unten glitzert türkisblau der Wildsee.

Im Norden ist es weiss… am Muldenende der Wildsee
Eindrücklich der mehrgipflige Pizolkopf – in der Mitte das Kreuz (Aufstieg auf der Rückseite ist einfach)

Doch als ich die Geländekammer der geplanten Abstiegsroute näher betrachte, wird mir etwas mulmig. In der nordseitigen Hochzone liegt noch viel Schnee. Die steilen Schneefelder in den Felsen sind nicht ohne: Der Schnee ist weich, teilweise unterspült, und ein Abrutschen wäre gefährlich. Zwar habe ich Stöcke, Eisen und eine Reepschnur dabei, aber reicht das aus? Jedenfalls erfordert es hier eine sorgfältige Routenwahl und viel Respekt.

Das ist zwar schön aber machte mir Sorgen…

Ich verlasse den Gipfel daher bald, um mir die Situation aus der Nähe anzusehen – immer bereit, gegebenenfalls umzudrehen. Doch zum Glück finde ich eine Variante, die zwar von der stahlseilgesicherten, blau-weiss markierten Route abweicht, aber deutlich sicherer erscheint. Nur ein nur gut fünf Meter langes, durchweichtes Schneekissen muss überwunden werden, ohne dass es abrutscht. Die Reepschnur gibt mir nötigen Halt, falls es doch schiefgeht. Aber es hält. Bald stehe ich wieder auf festem, steinigem Boden. Mit einem ordentlichen Adrenalinkick steige ich rasch aus dieser heiklen Zone ab und erreiche bald weniger steiles Gelände.

….die Lösung, etwas tiefer unten als die markierte blauweisse Route
Polarromantik ….

Der Abstieg durch viel Schnee zum Wildsee verläuft zwar mit nassen Füssen aber deutlich entspannter. Bald erreiche ich den Wildseeluggen und damit die berühmte 5-Seen-Wanderautobahn. Doch hier ist es unerwartet ruhig, trotz des prächtigen Wetters. Nur ein junger, schwer bepackter Pole ist unterwegs. Wir bestätigen uns gegenseitig den schönen Tag. Dann macht er netterweise ein Foto von mir vor dieser beeindruckenden Kulisse.

Die Pizolgruppe (die Grauhörner), der Wildsee und ein zufriedener Berggänger 🙂

Die Ruhe kommt übrigens nicht von ungefähr: Die Pizolbahnen sind heute noch nicht in Betrieb, erst ab morgen (21. Juni) beginnt der Trubel. Das bedeutet für mich, dass ich nicht nur zur Pizolhütte absteige, sondern noch 600 Höhenmeter weiter hinunter nach Pardiel wandern muss. Hier fährt die Gondelbahn zum Glück das ganze Jahr über.

Blick zurück von der Pizolhütte zur Wildseeluggen

Das Absteigen über die blühenden Alpwiesen des Skigebiets bietet mir nicht nur ein gutes Kniemuskeltraining, sondern auch einen einladenden Tiefblick ins breite Rheintal und das Prättigau. Trotzdem hätte ich lieber die Sesselbahn genommen… Auf jeden Fall bin ich froh, als auf der Terrasse von Pardiel bald ein grosses Bier vor mir steht.

Fazit: Diese Tour ist spektakulär, einsam und fordernd. Wer den Pizol abseits der Massen erleben möchte, findet hier eine eindrucksvolle, alpine Route. Doch Achtung: Das Couloir im Tersol und die Schneefelder am Gipfel (bis Juli) erfordern alpine Erfahrung. Bei unsicheren Verhältnissen besser umkehren – der Berg läuft nicht davon.

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Gigerwald-Pizol. Pardiel (pdf)

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