Streifzug durch das Calancatal – Teil 2

Die zweite Etappe meiner Calancatal-Experience ist horizontal und vertikal. Eine heftige Gewitterfront zwingt zum Umplanen, aber resultiert schliesslich in einem höchst erfreulichen Tag. Sie bringt mich zunächst per Postauto im Sightseeing-Modus durch den Talboden von Arvigo nach Rossa. Dann zu Fuss auf direktem Weg auf den Cima de Nomnom. Eine erfrischende Rolle an diesem Tag spielt auch das lebensfrohe Frauenduo, das die Capanna Buffalora bewartet.

Das Meteo-App mit seinem Gewitterradar schafft mir zu wenig Klarheit beim Frühstück in Arvigo. Eigentlich will ich mit dem Seilbähnchen nach Braggio hochfahren und dort zur Alpe die Foro auf die Sentiero Calanca hochsteigen um so zur Buffalorahütte zu gelangen. Doch das Gewitterrisiko scheint mir zu gross, um mich schutzlos den stahlseilgesicherten Passagen auszusetzen. Sie sind zu gute Blitzfänger…

Anstatt per Bähnchen zu starten warte ich auf den Bus…

Also packe ich stattdessen das Postauto nach Rossa und will den normalen Hüttenweg hochsteigen. Dann werde ich weiter sehen. Ich rede mir gütlich zu, dass ich dafür das Tal ein bisschen besser kennenlerne, das ich von oben gar nicht richtig entdecken kann. Keine schlechte Idee, nicht wahr? Der Spass beginnt auch gleich mit einem Einblick in die Calanca-Biennale-2025 an der Bushaltestelle, einer Sammlung von Bauminterpretationen internationaler Künstler. Ich bin schon einmal positiv überrascht.

… wobei die Bushaltestelle Kunst bietet…

Die Busfahrt – ich bin der einzige Passagier – führt mich durch das enge Tal mit seinen winzigen Dörfern, deren Bauten offensichtlich zunehmend renoviert werden. Auch die wenigen Albergi und Ristoranti sehen gepflegt aus. Aufschwung in einem der einsamsten Täler Graubündens?

In Rossa ist Endstation. Als ich das Dorf durchstreife bestätigt sich mein Eindruck… auch dieser Ort ist im raschen Wandel, es wir überall gebaut und renoviert. Es werden wohl vorwiegend Zweitwohnungen sein, aber immerhin bleibt so die historische Substanz dieser charaktervollen Steinbauten erhalten.

Rossa
Rossa

Der Hüttenweg beginnt derweilen gemächlich. Bis zum Einschnitt des Seitentals Val de l‘Ör führt er sanft steigend über saftige Wiesen, gestuft mit jahrhundertealten Steinterrassen und geprägt von schönsten Steinställen. Lieblich – aber es macht nachdenklich. Wer weiss denn schon noch, wie brutal der Kampf unserer Vorfahren um die Existenz in diesen Tälern war? Oft blieb nach einer Missernte nur noch die Flucht in die Stadt oder nach Amerika.

Steinkunstwerke aus alten Zeiten
Blick in den Talboden zu den Auen der Calancesca

Jetzt wird es steil, richtig steil. Der Pfad ist schlingt sich durch den Wald und ist von Baumwurzeln durchsetzt. Zum Glück steht die Sonne noch hinter dem Berg. Der schwülheisse Tag sorgt auch so schon für kräftiges Schwitzen. Auf einer kleinen Alp auf 1600m ist ein kurzes Verschnaufen erlaubt, dann geht es wieder fast gleich steil weiter zur weiten Alp de Calvaresc sott auf der nächsten Talstufe. Dort lichtet sich der Wald, locker verteilte Lärchen und unzählige Alpenrosen schmücken den Weg. Hin und wieder schlängelt sich ein Bächlein durch das gutmütige Gelände. Wie gestern unterhalb der Alpe Rossignion. Traumhaft!

Alpe Cavaresc sott
Ist das nicht traumhaft?

Auch die in Alpenrosen eingebettete Capanna Buffalora kommt bald in Sicht. Sie liegt schön eingebettet auf einem Geländevorsprung etwas unter der Baumgrenze. Ein schöner Bau, vor wenigen Jahren liebevoll modernisiert. Ich werde herzlich empfangen von Cati und Tiziana, die die Hütte für zwei Wochen als Volontari (Freiwillige) warten. „Schon da?“, begrüssen sie mich. Es ist erst halb Elf…

„Jaja, aber ich gehe gleich nochmal“, erwidere ich. „Solange das Wetter hält, steige ich weiter hoch – aber ohne Rucksack“. Da ich heute der einzige angemeldete Gast bin, kann ich mir meine Koje aussuchen. Ich wähle ein Zweierzimmerchen (was für ein Privileg!) mit Sicht ins Tal.

Der Wetterradar hat sich inzwischen umbesonnen und prognostiziert die schweren Gewitter neu erst für 15.00 Uhr. „Ich bin um 14.00 Uhr zum Lunch zurück“ rufe ich dem Hüttenteam zu. „Perfetto, facchiamo dei gnocci!“ versprechen sie mir. Ich grinse breit und mache ich mich auf die Socken, um mir das zu verdienen.

Capanna Buffalora, in Rosen gebettet

Es ist nicht mehr weit zum Buffalorapass, der einen spektakulären Tiefblick ins Misox gewährt. Das Gelände wechselt von lieblich zu rauh, auf der Gratkante vor dem Pass wimmelt es nur von Pionierpflänzchen und Edelweiss. Noch hält das Wetter und so nehme ich den Cima de Nomnom („der namenslose Gipfel?“) ins Visier. Er lädt zu einem überraschend unschwierigen Besuch. Der Gipfel lässt sich weglos über den vorerst breiten, dann etwas blockigen Gratrücken erklimmen. Ich scanne gleichzeitig die Flanken, da sich hier Steinböcke befinden sollen. Ich sehe keine – aber auch sonst bald nichts mehr…der Berg hüllt sich plötzlich innert Minuten komplett in eine Wolke ein. Nichts gewesen mit Gipfelsicht… aber als ich noch nicht einmal die Hälfte des Grats wieder abgestiegen bin, da scheint schon wieder die Sonne…

Im Aufstieg zur Cima de Nomnom

Immerhin, die Sicht ins Tal ist überall zum Reinbeissen schön. Dieses Calancatal bietet schon enorm viel Abwechslung! Unten eng, steinig, in der Mitte weit und lieblich. Laubbäume, dann Tannen und darüber der offene Lärchenwald. Herrlich. Ganz oben meine Spielwiese: Felsen und Blöcke.

Kaum wieder unten lichten sich die Wolken um den Cima de Nomnom wieder…
Einfach nur schön … in der Bildmitte die Hütte

Trotzdem spute ich nun rasch zur Hütte runter, denn die schwarzen Wolken mehren sich rasch, Wind kommt auf. Vor der Hütte stecke ich Kopf und Oberkörper zur Abkühlung in den Brunnen. Der Salzgehalt des Wassers muss dabei gewaltig gestiegen sein. Dann melde ich mich erfrischt zurück.

In der Hütte stehen indes die Gnocchi mit Salbei und Butter schon bereit. Cati und Tiziana laden zu Tisch! Bald klatschen die ersten Regentropfen an die Scheiben, Minuten später hagelt es.

Es folgt ein geselliger Nachmittag auf italienisch, das langsam von radebrechend zu halbflüssig wird. Danke für Eure Geduld liebes Team! Am frühen Abend hört der Regen auf und alle Ampeln steht auf grün für die morgige Königsetappe nach San Bernardino!

Frisch gemacht! Grazie Tiziana. Ci vediamo presto nel tuo Grotto Melesibelloli a Cama!
Durchs Fenster gesehen sind mir Gewitter willkommen …
Abendidylle nach dem Regen vor der Buffalorahütte

Tourdatum: 26. Juni 2025

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Kartenausschnitt Calanca 2

1 Kommentar

  1. auch diese Etappe hast du wunderschön beschrieben und an den Fotos kann ich mich kaum satt sehen.Ich wünsche dir eine gute Nacht und für morgen einen schönen Wandertag

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