Im Schoss des Rheinwaldhorns

Eine zweitägige Vater-Tochter-Tour führt uns am ersten Tag vom Bleniotal durchs stille Malvaglia über den Laghetto-Pass zur Adulahütte, direkt in den Schoss des Rheinwaldhorns. Anfangs eine malerische Höhenwanderung, wird sie gegen Ende steil, steinig und fordernd. Es ist ein Tag voller Hitze, Wetterkapriolen – und eine genussvolle Vorbereitung auf den anspruchsvollen Folgetag über die Val-Crio-Route.

Nicht immer ist es leicht, erwachsene Kinder noch zum Mitwandern zu bewegen. Schon gar nicht, wenn die Tochter eine Extremsportlerin ist – und der Vater schon über sechzig Lenze zählt. Umso schöner, wenn es doch klappt und beide Seiten zufrieden sind.

Das Postauto von Biasca nach Olivone hält „in the middle of nowhere“ an der Kantonsstraße in Malvaglia. Nur ein paar Schritte weiter wartet eine altersschwache kleine Gondel, die uns fast 1’000 Höhenmeter nach oben hieven wird. Die Talstation wirkt wie eine Mischung aus Souvenirshop und Tante-Emma-Laden – wir schmunzeln. Yael plaudert munter drauflos, obwohl sie gerade fünf Nachtdienste im Spital hinter sich hat.

Blick von Dègro hinuter durch Bleniotal in die Leventina

Der Einstieg von Dègro ist gemächlich: zwei Stunden wandern wir leicht ansteigend entlang des Hangs, passieren die Weiler Monda und Vipera und erreichen schliesslich die Alpe di Pozzo. Der Höhenweg wird gesäumt von liebevoll restaurierten Rustici, die wie Schmuckstücke an den steilen Hängen kleben. Von hier schweift der Blick tief ins wilde Malvaglia, weiter über das Bleniotal bis in die Leventina. Der Wald riecht intensiv und würzig – die Hitze hat eben auch ihre guten Seiten.

Höhensurfen durch das Malvaglia

Ab der Alpe di Pozzo wird es ernst. Der Pfad steigt steil an, wir überwinden eine Talstufe und erreichen die Alpe di Quarnei, über der die gleichnamige Hütte wie ein kecker Wächter ins Tal hinunterschaut. Ich halte inne und überlege laut, ob wir hier auf die angekündigten Gewitter warten sollten. Denn ab jetzt wird es einsam, steinig und ausgesetzt – kein Ort, um ein Unwetter zu erleben. Doch noch ist der Himmel blau, die Wolken harmlos, und wir gehen weiter.

Alpe di Pozzo
Kurz vor der Alpe di Quarnei. In der Bildmite am unteren Wolkenrand ist der Pass

Nun folgt die härteste Passage des Tages: eine steile Rampe auf die nächste Talstufe. Ich lasse Yael ziehen – die „Bergziege“ ist im Nu entschwunden, und es macht Freude, ihr zuzuschauen. Ich geniesse derweil die Rauheit des Geländes, auch wenn die letzten Meter vor dem Pass nochmals richtig anspruchsvoll werden.

Die Steilstufe – wer sieht die Bergziege?
Das Couloir zum Pass von oben gesehen

Oben angekommen, ändert sich die Szenerie schlagartig: Nach dem engen Couloir öffnet sich ein breiter Kessel mit einem kleinen See und weitem Blick Richtung Lukmaniergebiet. Wunderbar! Yael will gleich Geografieunterricht – doch die dunklen Wolken drängen zum Weitergehen. Rasch steigen wir ab in das Tal, das noch vor wenigen Jahrzehnten vom Rheinwaldgletscher bedeckt war.

Der kleine Pass-See am Fuss des Rheinwaldhorns
Passblick ins Lukmaniergebiet

Schon bald stehen wir vor der Adulahütte (2’400m) – und sind zufrieden, nur nassgeschwitzt, nicht verregnet angekommen zu sein. Auf der Terrasse wartet ein grosses Bier, während über den umliegenden Tälern stundenlang Blitze und Donnerschläge grollen. Merkwürdigerweise bleibt die Hütte selbst fast völlig verschont – ein perfekter Logenplatz für ein Naturschauspiel.

Adulahütte (die obere, es gibt 2)

Nach einem herzhaften Abendessen mit Polenta und Luganetti bricht die Sonne nochmals durch. Ein Sonnenuntergang in den Bergen ist einfach unübertroffen – goldenes Licht, klare Luft, tiefe Ruhe. Yael sinkt derweilen erschöpft ins Massenlager und schläft acht Stunden durch. Ich hingegen lausche noch lange dem Gewitter, erfüllt von diesem intensiven ersten Tag.

Wetterkapriolen
Gute Nacht!

Tourdatum: 14. August 2025

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Kartenausschnitt Adulahütte (pdf)

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