Das Schnürli um den Zuestoll 2235m ü. M.

Die Südwände der Churfirsten am Walensee sind ein veritables Fest für unsere Augen. Es gibt für Wanderer nur wenige Möglichkeiten, sie zu überwinden. Die Gämsen und Steinböcke haben jedoch Wege geschaffen, die mit etwas technischer Hilfe (Stahlseile und Ketten) auch für uns Zweibeiner begehbar geworden sind. Die „Schnürliwege“ um den Zuestoll sind ein absoluter Leckerbissen für erfahrene Alpinwanderer. Guter Orientierungssinn, Trittsicherheit und belastbare Nerven sind hilfreiche Voraussetzungen. 

Bei herrlichstem Wetter laufen wir um Neun beim Paxdenkmal oberhalb von Walenstadtberg los. Perfekte Weitsicht, unten schimmert der Walensee, totale Ruhe. Wir sind alleine und werden es den ganzen Tag bleiben. Die Wegführung ist spannend von der ersten Minute an. Ein mit Ketten und Stahlgriffen gesicherter Pfad führt uns aus dem Herbstwald über eine Felsstufe auf den Sitzstein und von dort auf die Alp Paliis. Hier stossen wir auf die flachere Geländestufe mit dem vielbegangenen Wanderweg von der Alp Tschinglä zur Alp Schrina.

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Rechts hinten blickt die Spitze des Zuestoll auf die Hochrugg hinunter
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Perfekt angelegt dieser Trail über die Felsen

Wir queren den Weg und folgen gut sichtbaren Pfadspuren, die uns direttisima zu einem Couloir unter die Südwand des Brisi führen. Wir beobachten die ersten Gämsen des Tages und stehen wenig später direkt auf dem Grasband unter den fast senkrechten Felsen.

Wie so oft sieht aus der Nähe alles viel weniger schlimm aus als von Weitem! Gut sichtbare Pfadspuren führen direkt der Wand entlang, die Abgründe sind eindrücklich aber weit genug weg. Wir sichten ein Rudel Steinböcke, dem wir uns für eine mögliche Fotosession vorsichtig nähern. Den Müttern mit ihren Jungen passt das allerdings nicht. Die Tiere klettern über uns hoch und lösen einen richtigen Steinhagel aus, der glücklicherweise an uns vorbeigeht. Wir hören die Brocken weit unten aufschlagen.

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Der schmale Pfad unter den Felsen, gut sichtbar am rechten Bildrand
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Zwei der vielen jungen Steinewerfer…

Auf einer begrasten Felsnase machen wir eine erste Pause und begutachten östlich des nahen Zuestolls den Schnürliweg, der uns am Nachmittag in ähnlicher Weise wieder hinunterführen wird.

Das letzte Stück zum Paliis Nideri, so wird der Durchgang zwischen Brisi und Zuestoll genannt, ist die Schlüsselstelle der Tour. Man folgt den Steinmännchen am besten bis zum Felsriegel und quert dann auf den etwas abschüssigen Felsplatten, bis man eine Kette und ein paar Stahlgriffe entdeckt, mit deren Hilfe wir uns in einfacher Kraxerei (max II) auf den Sattel hieven. Nass darf es hier nicht sein.

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Die Südwände von Zuestoll, Schibestoll, Hinterrugg und Chäserugg, ganz hinten der Alvier

Hier verlassen wir die schöne Wärme der Südseite und steigen gegen Norden durch ein schattiges Tälchen über Schrofengelände und Geröllhalden etwa 200Hm ab. Am unteren Ende der Zuestoll-Westwand führen schwache Pfadspuren über gutes Gehgelände entlang eines eindrücklichen Felsbandes zum Gratrücken hoch. Zwischen Vorgipfel und Gipfel stossen wir auf den markierten Alpinwanderweg (blauweiss). Mit den Halbsteigeisen an den Füssen lässt sich das steile Schrofengelände mit dem vereisten Restschnee problemlos überwinden. Um Zwölf begrüsst uns die Sonne wieder – kurz darauf stehen wir auf dem Gipfel des Zuestolls. Grandios!

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Die letzten Meter zum Gipfel – 300Hm weiter unter die Stollenfurgge mit dem felsigen Einstieg in den Schnürliweg
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Sonnenstube with a view

Nach der obligaten Fütterung der gefrässigen Dohlen und dem ausgedehnten Genuss der faszinierenden Tiefblicke und der schier unendlichen Fernsicht steigen wir über den grasigen Nordgrat ab, der den so markanten Felszacken zu einem Wanderberg macht. Fast 500Hm müssen vernichtet werden, bis bei Pt. 1737 der Wanderweg zur Alp Sellamatt erreicht wird und damit die Ostwand des Zuestolls umgangen werden kann. Etwa in der Mitte des Tälchens verlassen wir den Weg und suchen, zunächst durch Karrenfelder, später durch ein recht widerspenstiges Geröllfeld stochernd, eine Route hoch zur Stollenfurgge. Wir erreichen den Sattel zwischen Zuestoll und Schibestoll ziemlich ausser Atem. Der Lohn dafür ist wieder die Sonne – und erneut der grossartige Tiefblick zum Walensee!

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Der Blick hinunter zur begehbaren Seite des Zuestolls. Links des Felsbandes kamen wir hoch, über den Vorgipfel steigend laufen wir später runter.
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Ein spektakulärer Platz dieser Sattel zwischen und über den Felsen

Auf der östlichen Seite des Sattels suchen wir den Eingang zum Schnürliweg, der mit einem im Gras liegenden, rostigen Stahlseil angedeutet wird. Wir folgen ihm, drehen um eine Kante und schlucken dann zuerst zweimal leer, bevor wir vorsichtig weitergehen. Die nächsten rund 50 Meter führen über ein schmales, erheblich ausgesetztes Schuttband. Das dünne Stahlseil hat da eine stark beruhigende Wirkung auf meine Psyche. Dann erreichen wir ein Grasband und ab jetzt ist Genuss pur angesagt.

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Die ersten 50 Meter haben es in sich …
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…danach wird es einfacher

Die Route führt nun mehrere Kilometer den Steilwänden entlang. Es ist wunderbar warm, auf dem duftenden, trockenen Gras läuft es sich gut. Trotzdem, will man die grandiose Sicht auf die Churfirstenwände und die eindrücklichen Tiefblicke auf die verlassenen Alpwiesen, den See, das Rheintal und die Alpen geniessen, muss man anhalten. Ausrutschen ist nicht erlaubt. Nach einer guten Dreiviertelstunde erreichen wir am Valsloch den markierten Bergweg zur Chäserrugg, von wo wir über die Chammhalden zur Alp Tschingla absteigen können.

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Seeblicke und der Charme der Feuchtigkeit
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Der Blick zurück zum Zuestoll von der Alp Tschinglä – das Schnürli ist gelegt

Der Abstieg von der Alp Tschingla zur Hochrugg ist mit leichten Gegensteigungen durchsetzt, gegen die unsere müden Beine leise protestieren. Unser Blick wandert immer wieder zurück zum Zuestoll, seinen Nachbarn und den nun im sanften Nachmittagslicht leuchtenden Wänden. Der Wald wird schliesslich rot, und als wir um Fünf beim Auto ankommen verabschiedet sich die Sonne. Was für ein grossartiger Tag, was für eine in jeder Hinsicht spektakuläre Tour!

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N.B. Die Route ist lauftechnisch eine T4. Die mentale Herausforderung der Ausgesetztheit rechtfertigt aber auch ein T5.

Tourdatum: 5. November 2015

Kartenausschnitt Zuestoll- Schnürliweg (pdf)

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben (Schweizmobil)

5 Kommentare

  1. Hallo Edwin,
    Herzlichen Dank für diesen Bericht! Exzellent. Für mich das Highlight bisher. Diesen Sommer möchte ich den Schnüerliweg gehen.
    Ich lese auch sonst regelmässig deine Beiträge , bin beeindruckt. Auch deine Internetseite finde ich sehr schön gemacht.
    Beste Grüsse
    Martin

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