Die Leitern zum Barrhorn

Das Barrhorn (3610m) ist vom Turtmanntal aus als „höchster Wanderberg der Alpen“ zu erreichen (T3+). Wer es etwas spektakulärer (T5-) will, startet in St. Niklaus und wählt den Klettersteig am Schöllijoch für den Aufstieg. Die Aussicht bleibt für alle gleich – eine Traumtour im Vorzimmer des Bishorns inmitten einer beeindruckenden Gletscherlandschaft.

Nach einer ruhigen Nacht in der Topalihütte – ich schlief alleine in einem Viererschlag – verabschiede ich mich vom Hüttenwartpaar Oliver und Jolanda und laufe kurz nach 6.30 Uhr los. Der Sonnenaufgang kündigt sich an, der Himmel im Osten leuchtet orange-gelb. Die Ziegen kümmert das nicht, sie stehen emotionslos für mein erstes Foto Modell.

Morgenstimmung

Die Route zum Schöllijoch ist gut markiert (blau-weiss) und führt durch mehrere Geländekammern und über viel Geröll zu den Moränen des Schölligletschers. Die Sicht auf die Mischabelgruppe auf der anderen Talseite ist formidabel, wie gerne denke ich an die letztjährige Nadelgratüberschreitung zurück! Vor mir beleuchtet das frühe Sonnenlicht sanft das Brunegghorn, den Vorgipfel des Bishorns und das majestätische Weisshorn. Einfach wunderbar, die Höhenmeter schmelzen nur so dahin, und bald stehe ich auf dem Schölligletscher.

Mischabelgruppe mit Nadelgrat, Dom und Täschhorn
Brunegghorn, Weisshorn und Bishorn-Vorgipfel
Schölligletscher, links der Mitte der Einstieg in den Klettersteig zum Joch

Das blanke Eis ist mit feinem Kies übersät und deshalb gut begehbar. Erst kurz vor der Jochwand steilt der Gletscher auf. Für die letzten 30 Meter montiere ich die Spikes, die Eisen bleiben im Rucksack. Aufgepasst: Aus dem Couloir links des Klettersteigs kollern gerne Steine hinunter, wie ein Blick auf das Firn zeigt. Ein Helm ist hier durchaus angezeigt.

Ein Fixseil hilft über die letzten, rutschigen Meter Schutt. Schon stehe ich am Fuss der langen Leiter, mit der das erste, senkrechte Stück der rund 40-50 Meter hohen Felsmauer überklettert wird. Dann legt sich die Wand leicht zurück, es folgen Stahlbügel und Fixseile. Hoher Komfort, keinerlei Schwierigkeiten, nur schwindelfrei muss man sein. Bald stehe ich auf dem Joch und damit im Turtmanntal.

Achtung Steinschlag aus dem Couloir – rechts davon die erste Leiter
Impressionen vom Steig
Die zweite Leiter dient als Brücke

Jetzt ist es einfach, ein guter Pfad führt zunächst über das Innere Barrhorn (kann auch ausgelassen bzw. umgangen werden) zur Scharte zwischen den Barrhörnern, die einen dramatischen Tiefblick ins Mattertal offeriert. Es folgen nochmals 100 steile Höhenmeter durch das schwarz-schuttige Gelände der gutmütigen Westseite, dann klatscht meine Hand auf das Gipfelkreuz.

Das Äussere Barrhorn mit seinem kecken Vorgipfel

Ich bin nicht alleine, bereits haben ein halbes Dutzend junge Berggänger den Gipfel über die Turtmannroute erreicht. Meine Geographie- und Gipfelkenntnisse sind gefragt, andere wollen mehr über die Schöllijochroute wissen. Bald suche ich etwas Ruhe auf dem etwas tieferen, schön vorgelagerten Vorgipfel, um mein feines Pastrami-Sandwich zu essen und die grandiose Aussicht in Stille zu geniessen. Die Berner Alpen, die vielen Walliser Riesen bis hin zum Montblanc mit seiner Aiguilles-Entourage…

Der Blick nach Süden zu Monte Rosa, Brunegghorn und Weisshorn
Blick ins Mattertal, in der Bildmitte glänzt das Dach der Topalihütte (auf dem Distelgrat)
Die Berner im Norden

Am meisten beindruckt mich jedoch die nahe Nordseite des Bishorns mit dem Brunegg- und dem Turtmanngletscher, die sich rund 800m unter mir vereinigen. Seracs, Eisströme, Gletscherschliff, Moränen – ich freue mich auf den Abstieg durch die Traumkulisse!

Von Dent Blanche bis Mont Blanc im Westen – und die grossen Gletscher…

Das geht auch ziemlich schnell, der gute Pfad erlaubt eine Mischung aus rutschen, joggen und springen. Der Abstieg zum „Gässi“ dauert so keine Stunde, trotz zahlreichen Foto-, „Wow!-“ und „Cool!-„Stops. Der zurückweichende Brunegggletscher schafft unglaublich schöne Landschaftsbilder. Dann folgt der Wechsel ins begrünte und beblumte Gelände durch das berüchtigte „Gässi“, eine steile, felsig-schuttige Rinne, die sich heute dank zahlreicher Fixseile nicht als wirkliches Hinderniss erweist.

Blick zurück zum Bishorn und Brunegggletscher
Gletscherschliff
Das Gässi – gut gesichert

Kurz vor Elf erreiche ich die Turtmannhütte, viel früher als geplant. „Du kannst erst um 11.30 deine Käseschnitte bestellen“, teilt mir das Hüttenteam mit. Kein Problem, ich setze mich an die Sonne und widme mich einem der schönsten SAC-Hüttenblicke der Schweiz: dem hängenden Turtmanngletscher, aus dem ungeheure Wassermassen sprudeln und vom dem immer wieder Serac-Stücke abbrechen.

Die grossartige Aussicht vor der Turtmannhütte

Wenig später treffen Claudia und Ueli ein, die auch in der Topalihütte übernachtet haben. Wir plaudern und teilen unsere Wanderfreude. Schliesslich steigen wir zusammen ins immer grüner werdende Turtmanntal ab. Die vielen Edelweiss gehen dabei vor lauter Gletscherspotting fast ein bisschen unter. Und es zieht rasch zu. „Wie schnell aus blau doch grau wird“, denke ich! Aus der Ferne höre ich ein erstes Donnern.

Es zieht jetzt schnell zu…
Von den Stau-Becken führt ein Fahrsträsschen das Turtmanntal hinunter. Gruben liegt im zweiten Talknick

In Gruben/Meiden, mit seinen schönen, fast 100% zu Ferienhäuschen umgebauten Stalden, wartet Pascal. Er fährt uns nach Visp. Der gesellige Bus- und Taxiunternehmer erzählt viel vom wilden Tal, das im Winter aufgrund seiner berüchtigten Lawinen komplett gesperrt wird. Doch davon erzähle ich bei der Fortsetzung der Transversale mehr.

Tourdatum: 31. August 2019

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Öffentlicher Verkehr: Ab Gruben fährt aktuell 3x pro Tag ein Wanderbus zur Seilbahn nach Oberems. Die Seilbahn fährt hinunter nach Turtmann, von dort gibt es einen Bus zum SBB-Bahnhof. Zeitbedarf von Gruben nach Visp ca. 80-90 min.

Gruben

Wir sind mit dem Taxi von Gruben nach Visp gefahren (ca. 40 min). Pascal Ruffiner (Firma Ruffiner, Turtmann) ist ein guter Kerl! Das Taxi kann übrigens von Gruben noch ca. 2.5 Km weiter ins Tal hinein fahren, bis zum Parkplatz bei Vorder Sänntum (Brücke, Pt 1902).

6 Kommentare

  1. Danke für die immer tollen Berichte und Fotos! Einfach Spitze. Habe schon einige Wanderungen nachvollzogen.

  2. Wueh! Toller Bericht und tolle Ideen:)!
    Fühle mich geehrt als eine der erwähnten halbduzend jungen Berggänger, hahaa:)!

  3. Schöner Beschrieb und geniale Fotos. Es war eine herrliche Tour!
    Danke für die Rückfahrt nach Visp.

  4. Pingback: Edwin wandert

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