Seit drei Jahren liegt sie mir damit in den Ohren – jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Zu Christines rundem Geburtstag erklimmen wir zusammen mit einem Dutzend Bergfreunde den Golden Peak der Lenzerheide. Das Warten hat sich gelohnt: Perfektes Wetter, eine abwechslungsreiche Tour und beste Stimmung.
Nach dem reichhaltigen Frühstück im Basislager an der Voa Sporza auf der Lenzerheide treten wir gegen 8.30 Uhr unser gemeinsames Abenteuer an. Die Spitze des Lenzerhorns scheint unerreichbar weit weg zu sein. Mit ein Grund, weshalb ein Teil des Expeditionsteams die Tour bei der Mittelstation (Scharmoin) der Rothornbahn beginnt. Das spart doch immerhin 350 der fast 1500 Höhenmeter, die der Gipfel als Tribut einfordert.
„Wir sehen uns auf der Alp Sanaspans!“, ermutigt Christine ihre Truppe und setzt sich in Bewegung. Wir durchlaufen zunächst das von zahlreichen Mountain Bikern eingenommene Dorf und spuren bei Crapera auf den Pfad zum Wasserfall ein. Der Aufstieg durch den Lärchenwald ist kurzweilig, es wird viel geplaudert und nach Pilzen Ausschau gehalten. Der Steigwinkel nimmt zu und es wird steiniger, bald stehen wir am Fuss des Wasserfalls. Ein paar Fotos, ein Schluck Wasser, danach wird die „Mauer“ überwunden und knapp 90 Minuten nach dem Start erreichen wir die bewartete Alp Sanaspans, wo wir bei einem Schorle und einem Schoggiriegel auf den Rest des Teams warten.
Die Alp ist noch stark belebt von jungen Rindern, die sich nicht stören lassen, als die grosse Wandergruppe auf den nun blauweiss-markierten Pfad zum Lenzerhorn einbiegt. Unzählige Berganemonen (Küchenschellen) säumen den Wegrand. Ihr feinen Häarchen glänzen wundersam im Gegenlicht.
Wir folgen dem Bach zum Kessel am Talende, hinter dem sich unser mächtiges Gipfelziel aufbaut. Seine oberste Nordflanke trägt noch einige Schneereste des kalten Vorwochenendes, aber der Grat ist zu meiner Beruhigung komplett schneefrei.
Aber dieser Grat muss zuerst erklommen werden. Dies über eine ziemlich steile Grasflanke, die unser Grüppchen so richtig schön in die Länge zieht. Die Gesprächsintensität nimmt spürbar ab (von Ausnahmen abgesehen), der Berg fordert Demut und der Körper Verschnaufpausen. Das rötliche Gestein und die herbstliche Rötung der Heidelbeerstauden sorgen derweilen für ein friedliche Bergkalenderkulisse.
Die Anstrengungen werden belohnt: Der erste „Wow“-Moment kommt, als wir durch einen schmalen Felsspalt den Grat erreichen, der unseren Horizont auf einen Schlag um 100Km erweitert. Tödi, Rheinwaldhorn, Piz Tambo… you name it! Und zur freudigen Erleichterung folgt nun eine kurze Flachpassage entlang der hier noch begrasten Südflanke, der dem Genuss der Weitsicht die Krone aufsetzt.
Aber noch fehlen 350Hm zum Gipfel, und die haben es in sich. Zunächst erwartet uns ein Stück durch einen blockigen Aufschwung, der nicht nur Trittsicherheit, sondern auch Orientierungssinn voraussetzt. Es ist zwar nicht schwierig, aber die Hände sind hie und da nützliche Hilfsarbeiter. Ein besonderes Augenmerk gilt der Vermeidung von Steinschlag, ein nicht zu unterschätzendes Risiko bei einer so grossen Wandergruppe.
Nach diesem ersten Kick dürfen sich die Nerven und Hände etwas erholen beim Erklimmen eines steilen Feinschuttfelds, das jedoch den Achillessehnen ziemlich zusetzt. Die Schlange wird wieder länger, aber noch sind alle guten Mutes, als wir auf rund 2800m den Vorgipfel erreichen.
Die letzten 100 Höhenmeter sind Kraxelgelände. Der felsige Aufschwung des Lenzerhorn steilt stark auf und ist brüchig. Die Steine sind aber so geschichtet, dass wir überall perfekte Tritte und Griffe finden. Nur das Geröll ist ein Spielverderber, der etwas Vorsicht verlangt. Die Idealroute ist gut markiert, allerdings lässt dieser gutmütige Gipfelkopf durchaus ein Versteigen zu. Richtig ausgesetzt ist es nie.
Genau um 12.30 Uhr begrüssen wir das kleine Gipfelkreuz und geben uns dem überwältigenden 360-Grad-Panorama hin. Das Lenzerhorn steht frei, und so meine ich wohl fast den ganzen Kanton Graubünden zu sehen.
Nach und nach füllt sich das nicht allzu grosszügige Gipfelplateau mit meinen Begleitern. Als eine der ersten steht Christine auf ihrem Gipfel: Sie strahlt – wie freue ich mich mit ihr! Und noch viel mehr, als kurze Zeit später auch Martin das Traumziel seiner Frau erreicht, und die beiden sich in den Armen liegen.
Wir picknicken gesellig und geniessen die wohlige Wärme der Septembersonne – kaum ein Lüftchen schränkt den Genuss ein.
Hinunter geht es über denselben Weg – mit kleinen Varianten. Und statt Schorle mit Schoggi gibt es auf der Alp Sanaspans nun ein Bier und ein Plättli. Aber der lange Abstieg durch das anspruchsvolle Gelände ist ein Challenge. Bei einigen leiden die Knie oder die Zehen, andere brauchen in den Steilpassagen etwas Überwindung und gutes Zureden. Am Schluss sind alle gesund und munter unten, Martins Schuhe sind der einzige Kollateralschaden.
Als wir spätabends im Berghaus Tgantieni beim Fondue sitzen, und der Vollmond genau über dem Lenzerhorn aufgeht, hat jeder nur noch die besten Erinnerungen präsent. Wir sind dankbar, Teil der Erfüllung von Christines Traum gewesen zu sein.
Liebe Gipfelstürmerin, ich wünsche Dir alles Gute zum Geburtstag! Herzlichst, Edwin
Tourdatum: 14. September 2019
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Super, danke Edwin für diesen für mich doch auch emotionalen Bericht!
Perfektes Wetter für Christine‘s Geburimarathon Start 😏
Bis bald, Kuss Simone