Über die Forcletta nach Zinal

Wie gerne kehre ich ins Turtmanntal zurück, um die Transversale fortzusetzen! Alleine schon der Gedanke an den prächtigen Turtmanngletscher beflügelt. Da ich alleine bin, liegt die Gletschertraverse zur Tracuithütte allerdings nicht drin. Also folge ich dem alpinen Wanderweg über die Forcletta ins Val d‘Anniviers. Immerhin kann ich „en passant“ noch einen 3000er mit einem besonderen Namen mitnehmen. Der friedliche Wandertag lässt keine Wünsche offen.

Ich übernachte in Oberems, das ich als einziger Passagier mit der letzten Seilbahn (20.45 Uhr) erreiche. Das einfache Hotel Emshorn performt – das Walliser Plättli ist reichhaltig und der Cornalin ist gut. Kurz nach 8 Uhr morgens fährt das Wandertaxi nach Gruben, wiederum mit mir alleine. Was für ein Luxus.

Frühmorgens in Oberems – Blick ins Rhonetal
In Gruben grüsst der frisch verzuckerte Turtmanngletscher. Meine Route führt rechts durch den Lärchenwald hoch

Es ist herbstlich frisch. Ärmellos geht nicht mehr, das Windschutz-Gilet reicht auch nicht. Die neue Softshell-Jacke tut gute Dienste für die erste halbe Stunde. Mein Weg führt gemütlich entlang des Bachs zum Weiler Blüomatt, es bleibt Zeit für ein paar Telefonate. Dann switche ich den Flugmodus ein, wechsle ein paar Worte mit einem Bauern und biege auf einen angenehm steigenden Pfad ein, der mich durch den Lärchenwald zur Masstaffel führt. Zahlreiche dunkle Eichhörnchen hüpfen über den Weg und klettern rasant in den Bäumen herum, ich habe noch selten so viele auf einmal gesehen. Ihre schrillen Warnrufe überraschen mich, ich hatte vorher noch nie darauf geachtet. Man lernt nie aus.

Nach der ersten Steigung ein Blick zurück nach Gruben und zu den Berner Alpen
Im Turtmanntal (im Winter lawinenbedingt unbewohnt) wirtschaften die Bauern zentralisiert als Genossenschaft. Dadurch wurden viele Ställe frei und zu einfachen Ferienhäuschen umgenutzt

Die Sicht auf die Gletscher am Talende, auf das Bishorn und die Barrhörner wird immer schöner, was für ein Genuss! Die Höhenmeter schwinden rasch, bald erreiche ich die etwas flacheren Böden der Alp Chalte Berg, von wo aus ein Seitentälchen zur Forcletta hochführt. Die schmucken Häuschen und Stadel sind teils liebevoll umgebaut, teils zerfallen. „Die Zweitwohnungsinitiative“, seufzt die Walliserin, die mich von der Terrasse ihres liebevoll renovierten Stadels begrüsst.

Ich denke lange darüber nach, während ich mich durch das zunehmend steiniger werdende Gelände dem Pass nähere. Es gibt Dafür und Dawider, aber eigentlich ist es schade, wenn die Zeugen vergangener Jahrhunderte mit ihrem sonnenverbrämten Holz und den kunstvollen Steindächern langsam zerfallen.

Was für ein Blick auf die grossen Gletscher der Turtmanntals!
Zur Forcletta geht’s da lang. In der Bildmittel der L’Omen Roso
Auf der Forcletta – im Norden Diablerets und Wildhorn

Auf der Forcletta erwartet mich grosses Kino. Das Val Anniviers ist wesentlich grosszügiger als das Turtmanntal. So reicht die Sicht von den grossen Viertausendern des Mittelwallis bis hin zur Mont Blanc-Region, den Dents di Midi und den westlichen Berner Alpen. Ich ertappe mich dabei, dass mich etwas Wehmut befällt. Wie stark ist die Ost-West-Transversale schon fortgeschritten! Weit ist es nicht mehr zum Genfersee, aber will dich denn überhaupt fertig werden?

Ich studiere die Karte und inspiziere den Gratverlauf nach Süden. Es zieht mich hoch zum L’Omen Roso, der knapp über der 3000er-Grenze hinausragt (3048m). Einige Steinmännchen weisen den Weg über Blöcke und Geröll, und so stehe ich 20 Minuten später auf diesem eigenartig benannten Berg, der sich als Mehrhügelgipfel mit etwas Schnee präsentiert (T4, sonst ganze Route unter T3).

L’Omen Roso
Gipfelblick zu den weissen Barrhörnern (vor 10 Tagen noch schwarz) und dahinter der Dom

Auf dem Abstieg vom Pass kommt mir eine grosse Gruppe Amerikaner und Kanadier entgegen, die von Chamonix nach Zermatt unterwegs sind. Sie lechzen gerade nach etwas Unterhaltung mit dem „real Swiss“, denn das ermöglicht den mit schweren Rucksäcken Beladenen ein kurzes Verschnaufen im steilen Schlussanstieg. Dann bin ich wieder alleine.

Der Pfad wird breiter, flacht ab und folgt bald der Höhenkurve. Das erlaubt viel Aufmerksamkeit für Naturbetrachtungen. Die langsam rötenden Heidelbeerbüsche am Wegrand, der kecke Becs de Bosson im Westen, zwei herumtollende Murmeltiere, und und und ….

Elegant, der Becs de Bosson

Dann dreht der Weg nach Süden, ich drehe in das Zinaltal ein und werde überwältigt von der mächtigen Viertausenderfront rund um das wilde Tal. Wie lange war ich schon nicht mehr hier! @Hans: Erinnerst Du dich noch an die lange Tour zur Cabane du Mountet und die fordernde Traversierung des Gletschers?

Die Wolken decken zwar Einiges zu, aber machen die vorhandene Sicht noch spektakulärer. Wunderbar. So lege ich mich auf der Alp Le Chiesso ins Gras und nehme mir endlos Zeit um die grandiose Szenerie „für immer“ einzuprägen.

Noch verstecken sich einige Gipfel – aber morgen wird es perfekt..

Eine knappe Stunde dauert das Genusswandern entlang der 2200-Höhenkurve, bis ein Wegweiser den Abstieg nach Zinal anzeigt und eine 500Hm Knieübung durch den intensiv duftenden Lärchenwald einläutet. Die Walliser mögen es halt steil…

In Zinal habe ich die Qual der Wahl. Alle Hotels haben Platz, welches ist das Beste? Die Dame im Tourismusbüro darf nichts favorisieren, ich quartiere mich schliesslich im Hotel des Bouquettins ein. Die adrette Frau an der Bar vergibt mir mein lausiges Französisch, kreiert das perfekte Schaumkrönchen auf mein Bier und bringt mir dann ungefragt ihren Cheesecake mit Myrtilles. Hier bleibe ich bis morgen!

Zinal – man beachte die Kämpfe der Erdinger Kühe auf dem Gebäude links

Tourdatum: 11. September 2019

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

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