Wundersames 2019


    Ein weiteres Wanderjahr geht zu Ende. Es war für mich ein besonderes. Nicht weil das Wetter speziell schön oder das Tourenportfolio besonders spektakulär war. Auch die Gipfel, Gletscher, Bäche und Alpweiden waren nicht anders als im Vorjahr oder in den Jahrzehnten davor. Nein – ich selbst war anders. Dankbarer. Es wurde mir klarer denn je, wieviel Kraft das Wandern und die Bergwelt mir geben. Was für ein Geschenk!

    Sechzig Tage war ich wandernd unterwegs. Eine schöne Zahl, ein Privileg. 23 Mal habe ich hier darüber berichtet, bald überschreitet die Tourenliste des Blogs die 200er-Grenze. Als ich vor fünf Jahren mit dem Schreiben begann, hatte ich keine Ahnung, wohin das führen würde. Mittlerweile ist der Blog ein Fixseil geworden. Das Abrufen der Erinnerungen macht Freude, das Kneten am Text vertieft das Erlebte, das Sortieren der Fotos weckt Emotionen. Und natürlich freut sich der mitteilsame Edwin auch über jede Rückmeldung und Frage. Die Neugierde der Leser*innen aus fünf Kontinenten ehrt mich. Aber der Zufriedenste bin ich wohl selber, weil meine Erinnerungen und die begleitenden Fotos hier gut aufgehoben sind.

    Oktober: Wolkenspiele im Alpstein

    Der Blog erwirkt leider ungewollt auch Unerfreuliches. Als ich in der August-Ausgabe der SAC-Zeitschrift las, dass mein Beitrag über den nur noch wenig begangenen Galletgrat im Folgesommer indirekt zu vier Rega-Einsätzen am Doldenhorn mit 14 betroffenen Bergsteigern geführt hatte, war ich erschüttert. Auch wenn der Rettungschef des SAC mir auf Nachfrage versicherte, dass ich nichts Falsches gemacht hätte, hatte meine Euphorie offensichtlich dazu verleitet, die Gefahren des Berges zu unterschätzen. Wenn ich daran denke, dass die Beschreibung des hochausgesetzten Schnürliwegs, der nur bei absoluter Trockenheit begangen werden darf, jährlich Tausende Leser anzieht, wird mir mulmig. Ich will nicht, dass Menschen meinetwegen Leid erleben, auch indirekt nicht. In der Konsequenz beschreibe ich besonders anspruchsvolle Touren in abwegigem Gelände nicht mehr und weise noch klarer auf Gefahren hin.

    Oktober: Kraxeln an den Gastlosen
    August am Saflischpass: Meisterwerke der Natur

    Das Extreme ist auch nicht nötig, um in den Bergen euphorisch zu werden. Wie einleitend erwähnt, ist mir in diesem Jahr noch viel klarer geworden, was mir das Wandern in den Bergen bedeutet. Die sportliche Herausforderung, der landschaftliche Genuss, die Düfte, die Tiere und die Wetterkapriolen sind nur Fragmente des Gesamterlebnisses. Wirklich beeindruckend sind die innere Ruhe und die Gelassenheit, die mir das Durchstreifen der Bergwelt geben. Das ermöglicht mir oft, anspruchsvolle Aufgaben in sinnvolle Lösungen umzuwandeln, oder Sorgen richtig einzuordnen und entsprechend zu handeln. Aber vorallem mich wohl zu fühlen.

    Frühherbst auf der Transversale im Wallis
    Juni: Skurrile Felsen am Dent du Midi

    Dazu kommt die Geborgenheit, die die Bergwelt geben kann. Die Ewigkeit von Fels, Eis und Boden. Alles verändert sich, klar, jedes Jahr, unübersehbar – aber langsam. Das Gestein bleibt gleich. Kalk fühlt sich körnig und weich an, Granit rauh und beständig, Marmor edel und glatt, Nagelfluh griff-fest. Das kalte Wasser der Bäche ist rein, Edelweissblüten sind wollig-weich, die Gämsen immer gleich scheu. Dieses Stetige, Geduldige, Vertraute vermittelt mir Sicherheit und schafft Klarheit. Wunderbar. Ich habe dieses Jahr auch gelernt, diese Gefühlswelt zu teilen. Das macht sie noch stärker, noch bedeutsamer. Den schönsten Moment dieser Symbiose erlebte ich ruhend auf einer Holzbank vor einer Kapelle im Tessin.

    August: Gipfelfreude vor dem Tödi
    November: Das in sich ruhende San Defendente

    Jetzt zurück vom Philosophischen zum Messbaren – da sind meine Projekte. Die noch unvollendete Ost-West-Transversale, die um 15 Etappen reicher wurde. Noch fehlen die Teilstücke zwischen Arolla und Dent du Midi. Zu langsam schwand der Schnee und zu schnell kehrte er zurück, die hochalpine Gletscherwelt des Wallis verschloss sich mir bereits Mitte September wieder. Auch fehlte ein Grossteil des Julis, den ich mit der Familie im fernen Indonesien verbrachte. Doch wen kümmerts? Nach der Vollendung der OWT laufe ich eh gleich wieder zurück nach Osten. Durch das Berner Oberland, Uri, St. Gallen, das Rätikon und das Unterengadin zurück zum Ausgangspunkt in Mustair. Dort werde ich im „Liun“ wieder Nusstorte bestellen. Wann? Egal. Und will ich überhaupt, dass je etwas „fertig“ wird? Nein.

    Februar: Lichtspiele im Saanenland

    Ein besonderer Dank gilt dieses Jahr Gabriel. Wir waren zwar nie zusammen unterwegs, aber er hat mir den Mut für die anspruchsvolleren Skitouren zurückgebracht. Auch Walter, Andrea, Ka und Köbu motivierten, und Peter brachte mir wieder die richtige Technik bei. 2020 steht das „Türele“ wieder fest im Programm. Trotzdem – das Wandern im Sommer wird es nie übertreffen. Denn nur im Sommer geben die Berge alles, was sie geben können.

    Februar: Skitour Witteberghorne

    Ich wünsche Euch allen nur das Allerbeste für 2020. Mögen Euch die Berge das geben, was Euch gut tut.

    Herzliche Grüsse,

    Edwin

    7 Kommentare

    1. Hallo Edwin, danke für Deine Worte, sie treffen genau ins Herz. Ich lese Deinen Blog seit etwa 2 Jahren und bin immer wieder fasziniert, wie wundervoll die Berge sind und was sie in mir auslösen. In meinem knapp 2-jährigen Aufenthalt am Bodensee habe ich die Schweizer Bergwelt in mein Herz geschlossen. Nun bin ich wieder zurück in der Heimat, im übrigen die Sächsische Schweiz, wo der höchste Berg zwar nur etwas über 700m hat, aber absolut erlebenswert und wunderschön ist. Trotzdem lese ich weiter begeistert deine Tourengeschichten, sie erinnern mich immer an meine eigenen Erlebnisse. Ich sende Dir viele Grüße von hier und freue mich auf weitere tolle Beiträge von Dir. Auf ein gutes 2020, Manja

    2. Beste Edwin,
      Genoten van je mooi beschreven intieme
      samenvatting van je wandelingen en mijmeringen.
      Met 82 kan ik hier in Wengen nog veel maar jaloers op jouw prestaties.
      Alle goeds gewenst voor jou en je dierbaren.
      Rob

    3. Lieber Edwin,
      tolle Erinnerungen und beeindruckende Fotos. Auf ein spannendes 2020.
      Herzliche Grüsse Oliver

    4. danke auch vielmals. ich lese die beschreibungen immer sehr gern und freue mich, dass ich auf meinem bescheidenen nivo ganz ähnliches erlebe wie edwin. die kräfte im alter lassen nach, aber die freude bleibt.
      für die selbstüberschätzung von gewissen berggängern kann edwin sicher nichts. von daher finde ich es etwas schade, dass er zurück haltend sein will mit schwierigen touren, aber ich begreife es.
      alles gute und herzliche grüsse sowie schöne festtage und viele erfreuliche wanderungen im 2020.
      elisabeth

    5. Lieber Edwin,

      ich habe mithilfe deiner Seite im letzten Sommer das Wandern für mich neu entdeckt. Es gibt mir mittlerweile unglaublich viel. Dafür möchte ich dir ganz herzlich danken!

      Ein wenig schade finde ich, dass du die anspruchsvolleren Touren nicht mehr beschreiben magst. Ich denke jeder sollte für sein Tun und Lassen selber Verantwortung übernehmen. Nicht nur in den Bergen, sondern überhaupt im Leben. Zudem präsentierst du deine Touren immer verantwortungsvoll und nie reisserisch. Ein Teil der OWT steht für 2020 fix auf meiner Agenda. Darauf freue ich mich ganz besonders.

      Ich wünsche dir und allen deinen Fans Gesundheit und weiterhin tolle Erlebnisse in den Bergen.

      Herzliche Grüsse,
      Thomas

    6. lieber edwin
      an dieser stelle ein ganz grosses und herzliches dankeschön für deinen blog! Mach weiter und erfreue deine leserschaft mit wunderbaren berichten und traumhaften bildern! Es ist ein genuss; sowohl das lesen, als auch das „nach-wandern.“Von herzen ein gutes, neues jahr wünscht dir
      ursula

    7. Lieber Edwin
      für die immer spannenden Beiträge und wunderschönen Fotos ein herzliches Dankeschön. Vielen herzlichen Dank und weiterhin alles Gute. Beat

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