Bise über dem Belchen

Eines meiner Mehrjahres-Projekte ist die Traverse der vorderster Jurakette von Regensberg nach Nyon. Ich beschreibe nicht alle Etappen, besonders im nördlichen Teil ist nicht jede Wanderung wirklich so berauschend. Aber die einfache Tour (T2) von Hauenstein nach Oensingen hat die Erinnerung verdient. Die bunte Mischung aus Geschichte, Tagesaktualität, Fernsicht und eiskalter Bise bleibt haften. Deshalb schreibe ich gerne darüber.

Es ist der achte Tag des Corona-Lockdowns. Zum Glück wurde das Wandern nicht verboten. Ich meide natürlich öV und „In Places“, die meisten Läufe beginnen und enden zuhause in Zollikon. Aber da Yael mich heute auf dem Weg nach Basel auf dem Hauenstein absetzen und später in Oensingen abholen kann, gefährde ich niemanden. Ich begegne dazwischen fünf Menschen.

Knapp ein Jahr ist vergangen seit der Etappe von Aarau über die Wasserflue zum Hauenstein. Die Bilder gaben damals etwas zu wenig her, um einen Beitrag zu schreiben. Trotzdem denke ich gerne an den Tag zurück, bevor ich die Fortsetzung unter die Füsse nehme. Zuerst muss ich aber Handschuhe und Mütze anziehen, so heftig bläst die Bise über den Pass.

Die ersten Kilometer in Richtung Belchenflue folgen einem leicht steigenden Feldweg, eine gute Strecke zum Warmlaufen. Bald verschwinden die Winterutensilien in den Rucksack, mein Fleece bleibt aber den ganzen Tag bis oben zu. Die Wegstrecke ist gesäumt von Erinnerungen an die Befestigungsanlagen des ersten Weltkriegs, die ich vor über 30 Jahren als Student im Detail studiert habe. Die Erinnerungen an die spannenden Exkursionen und den Diskurs mit Professor Schaufelberger bleiben unvergessen und berühren mich – wie lange ist das her!

Der Blick vom General Wille-Haus zurück nach Ifenthal und Hauenstein
Zeitzeugen des 1. Weltkriegs

Nach der Challhöchi mit seiner langen eisernen Panzersperre schaue ich mir kurz das unspektakuläre General Wille-Haus von aussen an, das von einem heute noch benutzten Armee-Schiessplatz umgeben ist. Danach folgt der prachtvolle, von Soldaten angelegte Weg entlang der Südflanke der Belchenflue. Vor lauter telefonieren verpasse ich die Abzweigung zum Gipfelbeobachtungsposten, den ich gerne wieder einmal besucht hätte. Grummel – aber das Gespräch war wichtiger. Dafür erlebe ich wenig später auf der Gwidemhöchi eine wundersame Begegnung: Ein ganz und gar nicht scheuer, alter Gemsbock lässt sich von mir nicht vom ruhigen Grasen abbringen. Er schaut mich nur hin und wieder etwas argwöhnisch an, um dann sein Kauen stoisch fortzusetzen. Das habe ich nun wirklich noch nie erlebt!

Die alte Militärstrasse und Erinnerungen an seine Erbauer

Über die Gwidemflue steigend erreiche ich die Wuesthöchi und tauche dann in den Spalenwald ein, der mit einem pittoresken Tobel aufwartet. Der Weg führt hinunter nach Bärenwil, wo kurz ein bisschen Zivilisation geschnuppert wird, im Aufstieg zur Höchi Flue wird es bald wieder still. Auf dem Stelli wird wieder ein halbe Stunde gezoomt bzw. gearbeitet, zum Glück dank eines angenehmen Windschattens ganz ungestört und warm.

Das Spalentobel

Nun folgt das Filetstück der Wanderung. Über den breiten Grasrücken der Schlosshöchi surfe ich zunächst – hoch über dem Mittelland schwebend – an der eindrücklichen Burgruine der Alt-Bechburg vorbei. In Bestlaune, unter anderem die windfesten Bäume bestaunend, erreiche ich den Wishöchi-Pass und wenig später die (nicht coronabedingt) noch geschlossene Tiefmatt-Beiz, wo ich picknicke.

Gratrückensurfen mit Blick auf die Ruine (rechts im Bild)

Jetzt steigt die Route wieder an, bald erreiche ich den Fuss des „Roggenschnarz“ (was für ein Name!), dessen scharfe Kante über einen felsigen, treppengestützten Pfad erklommen wird. Auf diesen Kalkfelsen wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Ihr gedrungener Wuchs und die zerzausten Kronen zeugen vom harten Leben an dieser Kante – so lyrisch beschreibt es eine Tafel am Wegrand.

Alpine Gefühle im Aufstieg zur Roggenschnarz
Ohne Blätter ist die Roggenfluh sehenswert…

Der ranke Gipfel wird bald wieder zum sanften, bewaldeten Rücken, der sich im Westen wieder zur felsigen, senkrecht abfallenden Roggenfluh zuspitzt. Von diesem schönen Aussichtspunkt steige ich via Oensinger Roggen – auch hier ist die Beiz natürlich zu – entlang der Kluskante zum mächtigen Schloss Neu-Bechburg hinab.

Hier war ich im Herbst 1983 letztmals: Aus einer Verrückheit heraus hatte meine Klasse damals das Schloss für eine Maturfeier mit den Lehrern gemietet. Mit den Gedanken schmunzelnd durch die Vergangenheit schweifend durchschreite ich das ehrwürdige Areal.

Roggenfluh mit Blick in die Klus und nach Oensingen
Balsthaler Klus
Neu Bechburg

Schliesslich steige ich durch den Schlosswald ab und erreiche bald die ersten Häuser von Oensingen. Noch eine Viertelstunde auslaufen, dann pickt Yael mich am Bahnhof wieder auf.

Tourdatum: 24. März 2020

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Mit der Juratransversale geht es (bzw. ging) es dann weiterhier...

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