Gratsurfen über den Vorab

Was der Schnee letzte Woche noch verhinderte, holen wir heute bei besten Verhältnissen nach – die anspruchsvolle, spektakuläre Königsetappe der Via Glaralpina über den Vorabgrat. Ein konditionell fordernder, aber absoluter Leckerbissen für Alpinwander-Fans.

Um sieben Uhr treffen wir an der Talstation der Tschinglenbahn in Elm ein, die uns innert weniger Minuten auf die Alp Nideren bringt. Die Fahrt in der kleinen Gondel durch die Schlucht (bis vor 14 Jahren noch in einer offenen Holzkiste), ist alleine schon einen Ausflug wert. Von der Alp steigen wir in einer guten Stunde über drei Talstufen, reichlich mit Eisenketten gesichert, zur Martinsmadhütte auf, wo wir uns einen Espresso und ein (bemerkenswert!) feines Stück Linsertorte genehmigen. Energiemanagement ist wichtig auf dieser langen Tour.

Jetzt geht es blau-weiss markiert weiter. Zunächst folgt der nervenkitzelnde Durchstieg durch das berüchtigte Schwarzwändli, ein inzwischen sehr gut ausgebauter Kettenweg. Ohne dieses Hilfmittel wäre dies Kletterei der Stufe II, und da diese Nordseite gerne feucht ist auch nicht ganz ungefährlich. Aber eben – so wie heute angetroffen ein grosser Spass, den wir hier auch gerne fotografisch dokumentieren.

Das Schwarzwändli

Nun stehen wir vor einer noch höheren, unüberwindbaren Wand, die uns von Graubünden trennt. Diese wird aber über Geröll, Platten und Blöcke problemlos in westlicher Richtung umgangen. Das macht ebenfalls wirklich Spass und die skurillen Felsformationen in dieser Umgebung machen den Aufstieg zum Kinoerlebnis. Die 500 Höhenmeter schmelzen nur so weg.

Aufsteigen über Platten inmitten skurriler Felsformationen (Galerie unten)

Dann erreichen wir die Höhe und damit die grosszügige, rauhe Fläche, die früher einmal gänzlich vom Vorabgletscher bedeckt war. Einen kleinen Teil davon gibt es noch, es gehört zum Laaxer Skigebiet. Der Felsboden ist überall aufgerissen und mit Spalten durchsetzt, sehr speziell und fotogen. Grund genug für eine kleine Pause – und erneutes Energiemanagement.

Bündner Vorab (Mitte) und Glarner Vorab (rechts)

Der erste Gipfel rückt nun näher. Die makellose Markierung (man merkt, dass hier vor etwa fünf Jahren mit viel Liebe zum Detail die Königsetappe der Via Glaralpina angelegt wurde, danke dafür!) führt uns elegant um die Brocken und durch die Felsen führend und in angenehmer Weise auf den gutmütigen Bündner Vorab, dessen höchsten Punkt wir um elf Uhr erreichen.

Vom Gipfel des Glarner Vorab geht es senkrecht hinunter zum Panzerschiessplatz Wichlenalp
Dieses wunderbare Panorama begleitet den Gratsurfer drei Stunden (unten im Bild: Picknick mit Heli)

Was für ein Aussichtspunkt! Die halbe Schweiz liegt vor unseren Füssen. Fast 1‘800m senkrecht unter uns breitet sich die Wichlenalp aus (schnell ein Foto an Rekrut Jan Lukas whattsapplen), dahinter strahlen uns Hausstock, Bifertenstock und Tödi. Grossartig! Die drei Schönheiten werden uns fortan auf der dreistündigen Gratsurftour begleiten, die zum Panixerpass führen wird. Notabene: Es ist deshalb auch viel schöner, die Tour in diese Richtung anstatt umgekehrt zu begehen. Der erzwungene Abbruch letzte Woche war also definitiv kein Nachteil.

Blick vom Bündner Vorab hinunter zum Gletscher

Der Übergang zum Bündner Vorab ist noch kein Highlight, der Pass dazwischen von der Bergstation der Laaxer Gletscherskilifte „technisch durchwühlt“ – um es höflich zu sagen. Aber dann stehen wir bald auf dem Gipfel und damit auf dem  Tageshöchstpunkt. Das Surfen kann beginnen! Und das macht extrem Spass. Das erste Wegstück erfolgt über den breiten Schuttrücken, mit kleinsten Pionierpflänzchen durchsetzt, zu einem spektakulären Abgrund nach Süden. Eine kurze Gegensteigung (50Hm) führt uns zum namenlosen Punkt 2998. Was für eine Schande, dass der schöne Kopf anonym dahinvegetieren muss! Wir taufen ihn gleich „Vorabkopf“ und widmen ihm unsere Mittagspause. Zwischendurch winke und rufe ich weit über die Surselva hinüber zu Hans nach Vals, aber er scheint mich nicht zu hören (danke Dir im Voraus schon für das Korrekturlesen!).

Traumsurfen – vorne der Vorabkopf (unser neuernannter Fast-3000er)

Vom Vorabkopf surfen wir angenehm absinkend rund 250Hm hinunter bis zur nächsten Scharte. Eine erneute, giftige Gegensteigung (80Hm) bringt uns auf einen grün bewachsenen, ebenfalls namenlosen Kopf. Achtung: Der auf der Karte eingezeichnete Weg führt um den Kopf, die markierte Route geht darüber. Wer die vielen Höhenmeter also langsam in den Beinen spürt, kann hier 30 davon sparen. Wir nehmen den Kopf aber gerne mit – es ist soooo schön hier oben.

Gratsurfen pur, rechts der Mitte zeigt sich der Panixerpass

Mit dem sorgenlosen Surfen ist es nun bald vorbei, es folgt der ernsthaftere Teil der Gratroute, der seine blau-weisse Farbe verdient. Zunächst klettern wir ein Felsband mit etwas rutschigem Schiefer mit erhöhter Vorsicht ab (es sind nur 2-3 Meter abwärts), eine Kette wäre hier hilfreich. Wenig später folgt die spektakuläre Schlüsselstelle, die Crena Martin. Sie beginnt mit einem kettengesicherten Abstieg (gute Tritte) über ein 5 Meter hohes, schmales Wändchen, direkt am Rand des Abgrunds. Dann folgt die Passage (teilweise kettengesichert) über ein schmales, rutschiges Band auf der feuchten Nordseite des Felskopfs. Ui, wow! Aber dank den montierten Hilfsmitteln harmlos und viel einfacher als das ungesicherte kleine Felsriegelchen zuvor.

Crena Martin – Die Schlüsselstelle
Mit Kette ist’s leicht…
Blick zurück zur Schlüsselstelle und zum Vorabkopf

Nun wird es wieder gutmütig und bald erreichen wir die Sether Schutzhütte am Fuss des Sether Furgglen. Das bedeutet nochmals etwas steigen, zunächst durch ein schmales Couloir, dann Blöcke überspringend und schliesslich querend über einen guten Kiespfad. Das hätte ich mir gemäss Karte schwieriger vorgestellt!

Über die Sethen Furggen geht’s einfacher als gedacht

Grosse Freude bereitet uns auch der kleine See, der uns am Ende der Traverse unter dem Rotstock erwartet. Es ist nicht nur ein fotogener Ort für den Hausstock, sondern auch ein guter Ruheplatz vor dem langen Abstieg zur Wichlenalp. Wir trinken viel, es ist ziemlich warm geworden. Und wir bestätigen uns gegenseitig, wie kurzweilig diese Tour bis jetzt war, und sind froh, dass die Beine so gut mitgemacht haben.

Mein geliebter Hausstock im Postkartenformat

Das ändert sich auch nicht mehr beim Abstieg durch die Karrenfelder zum Panixerpass und der Fortsetzung in „entgegengesetzter Suworow-Richtung“ über den Saumpfad hinunter ins Tal. Hin und wieder bleiben wir stehen, um die enorme Wand neben uns, auf der wir vor kurzem noch traversierten, zu bestaunen.

Im Abstieg das Hexenseeli – oben „unser“ Grat
Der Vorabgrat von unten

Kurz nach Vier erreichen wir die Wichlenalp, wo ein liebenswürdiges Heinzelmännchen (danke nochmals Hans Peter!!!) meinen Audi hingestellt hat. Dieser Topservice spart sieben weitere Kilometer, die für heute zuviel geworden wären. Dafür sitzen wir wenig später entspannt auf der Terrasse des Hotel Segnes in Elm bei einem grossen Glacé und prosten zufrieden dem Martinsloch zu.

Tourdatum: 18. August 2023

Kartenausschnitt Vorabgrat

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

6 Kommentare

  1. Edwin , heel bijzonder om jullie prachtige tocht zo mooi geïllustreerd te kunnen lezen.
    Wij genieten van vier weken Wengen en de Mendelsohn Musikwoche .
    Met dank en groetjes Rob en ied

  2. Ein unvergessliche Tour in einer großartigen Landschaft und oberndrein noch diese tollen Fotos von dir.
    Vielen herzlichen Dank für Deinen spannenden Bericht.

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