Im Hinterhof des Hausstocks

Eigentlich erwarteten wir nicht zuviel von der Querung vom Kisten- zum Panixerpass. Das Tagesziel war folgende Grattour zum Bündner Vorab. Doch der war zu verschneit und das Wetter zu schlecht. Trotzdem entpuppte sich die angepasste Variante mit einem Abstieg hinunter über Pigniu nach Andiast als lohnende Tagestour und kleines Juwel. Überzeugt Euch selbst. Auch Geschichtsinteressierte kommen nicht zu kurz.

Die gestrige Tour auf das Kistenstöckli – bzw. die Sicht von dort auf unser heutiges Wandergebiet – hatte es schon klargestellt. Das würde nichts werden heute mit dem geplanten Alpinwandern bis 3’100m. Zuviel Schnee hatte die Kaltfront der letzten Tage abgeladen. So brechen wir eher gemütlich von der Bifertenhütte auf und machen uns an die Alternative. Wir watscheln von der Hütte hinunter zum Kistenpassweg und biegen bald nach Osten in das Seitentälchen ab, dass uns zur Falla Lenn bringt, den Übergang zur Cavorgia da Vuorz. Hier breitet sich unter dem Muttenstock ein weites Hochtal aus, das bis noch nicht vor allzu langer Zeit von einem Gletscher bedeckt gewesen sein muss. So fühlt sich auf jeden Fall das Gelände an. Der Pfad über die steinigen Böden ist nicht immer eindeutig, aber die Route ist gut rot-weiss markiert und bietet keinerlei Schwierigkeiten. Im Gegenteil, es läuft sich hier abwechslungsreich und das Gelände ist eindrücklich. Reto stimmt zu, wir sind schon wieder zufrieden.

Auf der Cavorgia di Breil, links unter dem Kistenstöckli die Bifertenhütte
Cavorgia da Vuorz -spannendes Gelände!

Eine gute Stunde brauchen wir für den Schwenker durch diese weite, wilde Ebene. Dann erreichen wir die Kante zur nächsten Geländekammer unterhalb des Piz Ners und damit den Hinterhof des Hausstocks – das Val di Pigniu (Panixertal). Dieser aussichtsreiche Gratrücken (siehe Foto unten) endet mit einem neckischen Gipfelchen (Crap Tgietschen), unter dem Sattel wird es Zeit für eine erste Trinkpause. Die wenigen Regentropfen stören kaum, aber der „Wetterbucheli“ lag definitiv daneben.

Nun folgt der nächste Schwenker im Auf und Ab, diesmal aber viel grüner. Der Hausstock (wie gerne denke ich an seine Überquerung zurück!) steckt jedoch dicht in den Wolken. Das Highlight sind deshalb die eingegrabenen Bäche und ein stolzer Wasserfall. Auf der Fil di Fluaz, dem Übergang zur nächsten Geländekammer, grasen zu unserer Überraschung Rinder (auf fast 2400m).

Sogar ein kleines Lawinchen will passiert werden
Wassergrabkunst
Wo ist hier bitte das schöne Wetter, Meteo Schweiz?

Hier steigen wir nun hinunter zur Panixerpassroute, wo wir dem ersten Menschen begegnen. Eine Hirtin warnt uns, nicht zu nah an den Herdenhund zu treten. Ich versuche es trotzdem, denn er sieht so „nett“ aus. Doch sein kraftvolles Bellen lehrt mich bald eines Besseren.

Rechts geht’s über den Panixerpass nach Elm, links oben durch zum Ostgrat des Hausstock

Wir bedauern noch einmal, die Tour nicht wie geplant fortsetzen zu können und machen uns an den Abstieg in die Surselva. Dafür kommen wir in den Genuss einer grossartigen Kulisse, die sich uns bei der spektakulären Bänderpassage hoch über dem Panixersee bietet. Und hier soll General Suworow im Oktober 1799 mit seinen fast 22’000 Soldaten, Pferden und Maultiere durchgezogen sein? Wir lesen auf einer Tafel, dass nur 15’000 von ihnen in Panix angekommen sind … was für ein grausames Drama muss das gewesen sein. Unvorstellbar. Wieviel Überbleibsel liegen wohl noch heute in den unzugänglichen Schluchten unter uns? Und wie haben die damals 70 Einwohner wohl reagiert, als diese ausgezehrten Menschen in ihrem Dorf ankamen?

Talblick im oberen Bereich des Panixerpass-Pfads
Hier musste Suworows Heer durch …. nicht nur mit Schnee eine (mentale) Herausforderung
Rückblick zur unserer Querung durch den Hinterhof des Hausstocks … nur vom Protagonisten selber sehen wir den ganzen Tag nichts

Wir haben viel Zeit, darüber zu diskutieren, denn ab dem Aussichtspunkt mit Kreuz und Picknick-Tisch bei Punkt 2031 folgt ein (sehr) langer Gwaggel über ein Alpsträsschen hinunter nach Panix. Bis hier sollte man sich eigentlich hochfahren lassen können per Quad oder so (Business-Idee)… Der regelmässige Blick zurück und hinunter in den Talkessel mit seinen mächtigen Wänden ist immerhin ein guter Trost für diesen weniger spannenden Teil der Wanderung.

Der schöne Blick zurück

In Panix überzeugt dafür Kurt, der Wirt der in die Jahre gekommenen Dorfbeiz, mit seiner gegrillten Käsewurst und dem feinen Kartoffelsalat. Hier könnte man nun den Bus nach Ilanz nehmen, der fährt allerdings nur 3x pro Tag (immerhin!). Wir folgen mit vollem Bauch hingegen dem Surselva-Höhenweg (Teil des Jakobswegs Graubünden). Das gibt nochmals viiiieeeelll Zeit zum Plaudern. Über Andiast (verschlafen, viele schön renovierte Häuser) und Waltensburg gelangen wir schliesslich nach Brigels an den Ausgangspunkt der zweitägigen Tour zurück.

Panix (oder Pigniu)

Tourdatum: 9. August 2023

Kartenausschnitt Biferten-Panixerpass

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

4 Kommentare

  1. schöne Bilder und Text – Pigniu ist übrigens mein Heimatort – jetzt nicht mehr, weil bei Ilanz eingemeindet.Danke und Gruss

  2. Lieber Edwin – vielen Dank für deinen erfrischenden und inspirierenden blog. Macht jedes Mal Spass zum Lesen. Letzten Donnerstag war ich ganz in der Nähe – leider hat mich dann der Mut beim Einstieg in den Hausstock-Ostgrat verlassen – mir hatte es noch zuviel Schnee und am morgen leider ab da auch zähen Nebel/Wolken. Beim langen Abstieg zurück nach Elm war dann wieder beste Sicht und ich konnte den Jägerweg auf den GL Vorab etwas studieren. Das ist aber ein Projekt mit meinem BF des Vertrauens. Würde mich freuen, wenn wirs mal auf eine spannende Tour evtl gemeinsam schaffen. BG und sichere Touren Ralf

    • Ich mache den Weg über den Vorab wahrscheinlich am kommenden Freitag … wenn Du Lust hast, welcome to join

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