Grenzerlebnisse im Silvretta-Gebiet

Eine abwechslungsreiche alpine Tour führt mich von Klosters zur Bielerhöhe – so nennt sich der Pass an der Silvretta-Hochstrasse auf 2’000m Höhe. Meine Route führt durch das einsame Schlappin-Tal zu wunderbaren Bergseen, über steile Berglücken und entlang von Gletschern und eindrücklichen Bergspitzen von der Schweiz nach Österreich. Dazu kommen ein paar Grenzerlebnisse und ein kurzer Einblick in eine andere Wanderkultur!

Ich habe mir lange den Kopf darüber zerbrochen, wie die West-Ost-Transversale durch das Silvretta-Gebiet führen soll. „Drüber“ mit Bergführer, inkl. Piz Buin? Gemütlich südlich herum über den Vereinapass? Ich entscheide mich schliesslich für die Nordumrundung und den Einbezug von Österreich. Denn die Erfahrung weiss, dass Nordseiten besser vergletschert und damit schöner sind als die Südhänge. So starte ich voller Neugier im Bergweiler Schlappin oberhalb Klosters, wo mich ein Wandertaxi um acht Uhr morgens auslädt. Das Holz der Hütten ist braungebrannt von hundert Jahren Sonne – schön! Es wird sofort einsam – schon nach wenigen 100 Meter ist auch das Swisscom-Netz (auf Dauer) verschwunden. Zur Sicherheit mache ich einen Funktions-Check meines neuen Garmin-Inreach … er funktioniert perfekt und beruhigt meine Liebsten.

Verschlafenes Schlappin
Das grüne Hochtal steigt nur ganz langsam an – das erste Ziel ist die Lücke unter der Sonne, links vom Seeschijen

Das Schlappin-Tal ist lang und bis zum Ende der Kübliser Alp ziemlich flach. Gerade mal 400m steigt man auf den ersten sieben Kilometern, ich komme zügig vorwärts. Dann wird die Stille kurz gestört durch einen vorbeiknatternden Helikopter, der wenig später mit einer toten Kuh am Seil wieder talauswärts fliegt. Es schaudert mich. Bald treffe ich auf die sichtlich trauernden Artgenossen und die Sennerin, die mich darüber aufklärt, dass die Kuh im Steilhang auf den Rücken gefallen und in der Folge erstickt sei. Das Heulen der gutmütigen Tiere berührt mich tief. Und gelernt habe ich auch wieder etwas. Auf dem Rücken liegen bedeutet den raschen Tod für Kühe und Schafe, was offensichtlich mit der Lage ihrer Mägen zu tun hat.

Die Kühe sind betroffen vom elenden Tod ihrer Kameradin

Bei Inner Säss endet das Alpsträsschen (bis hierher käme man gut mit dem Bike) und der Pfad wird rot-weiss. Und gleich ziemlich ruppig. Der Aufstieg auf die nächste und übernächste Talstufe ist steinig, bald blockig, der Pfad nicht mehr immer gut sichtbar. Doch ich werde richtig belohnt für die Mühe, als ich den letzten Talkessel erreiche. Dort breitet sich der Hüenersee grossflächig aus – ein Kleinod! Auf der stillen Wasserfläche spiegeln sich die schwarzen Spitzen der Seeschijen, grossartig sieht das aus! Anstatt dem Wegweiser zu folgen umrunde ich den See auf der Westseite, um ein immer noch besseres Foto dieses Sujets machen zu können. Schliesslich bin ich zufrieden, sage laut „Danke!“ und fülle meine Feldflasche am Bach. Dann suche ich mir einen Weg durch die Steinwüste zurück zum offiziellen Weg, der mich durch ein Blockfeld balancierend und über einen steilen Pfad rasch zum Schottenseefürggli hochführt.

Bachidylle
Hüenersee mit Seeschijen
Die letzten Meter zum Schottenseefürggli

Die Szenerie wechselt nun total, es präsentiert sich ein schöner Weitblick auf die Silvretta-Gruppe. Unter mir schimmert der türkisblaue Gletschersee des arg geschrumpften Seegletschers, dahinter erhebt sich das stolze Seehorn, zu dessen Linken erblicke ich die Seehornlücke, wo ich die Landesgrenze überschreiten werde. Dafür steige ich zuerst mal wieder (etwas ausgesetzt) 200Hm ab und richte mich auf einem kleinen Aussichts-Hügelchen am See (Pt 2515) für den z’Mittag ein. Der Fleischkäse ist fein, die Blevitas dazu auch. Auch ein Apfel findet noch Platz im willigen Magen und schliesslich ein Nussriegel. Und viel, viel Wasser. Es ist warm geworden.

Seehorn mit Seehornlücke und -gletscher, Schottensee und Blick auf Silvrettagletscher im Hintergrund
Schottensee – links oben am Bildrand das Schottenseefürggli

Das Nickerchen lasse ich aus, denn es warten nochmals gut 350Hm Steigung über den ehemaligen Gletschergrund zur Lücke. Und die haben es heute in sich. Es ist sowieso ein „schwache Beine-Tag“, den ich heute einziehen muss (oder ist es der volle Magen?), die letzten steilen Meter durch den Schutt zwingen mich zu Verschnaufpausen. Die Jahre gehen auch an mir nicht spurlos vorbei… das tut manchmal weh, aber das ist ein Klagen auf hohem Niveau. Das rauhe Umfeld am Gletscherfuss geniesse ich trotzdem!

Der arg geschrumpfte Seegletscher – wie lange wohl noch?

Schliesslich stehe ich in der Scharte bei der Grenztafel, und das leise Leiden ist vorbei. Und wie schnell! Denn nun starrt mich der Grosse Litzner mit seiner eleganten Spitze und seinem hängenden Gletscher an, und ich verliebe mich umgehend in das schwarz-weisse Paar. Grossartig! Das Seehorn und sein verkümmertes Gletscherchen müssen gleich wieder hinten anstehen in der Tagesfavoritenliste. Nordseite eben!

My love of the day – Gross Litzner mit seinem Gletscher

Der Abstieg vom Sattel ist richtig steil und schuttig, der Pfad aber gut. Und immer dieser Leckerbissen vor meinen Augen!

„30 Minuten zur Saarbrückner-Hütte“ las ich auf der österreichischen Alu-Tafel auf der Seehornlücke. Ich muss fortwährend darüber nachdenken, warum das Ding so heisst. Dort angekommen bestelle ich ein Panache – oder ein „Radler“ natürlich – und werde von der Hüttenwartin aufgeklärt. Viele Hütten im Vorarlberg wurden vom Deutschen Alpenverein erbaut und tragen deshalb entsprechende Namen: Saarbrückner-Hütte, Tübinger-Hütte, Wiesbadner-Hütte… unvorstellbar für einen Schweizer :-)! Die Gäste sind denn auch zumeist deutsch, viele wandern hier einfach von Hütte zu Hütte, wie meine Kurzumfrage ergibt. Und eben, man geht hier „auf“ eine Hütte und nicht „zu“ einer Hütte. Dort bleibt und schläft man. Das Grüppchen neben mir ist aber auch schon um zwei Uhr morgens (!) von Düsseldorf losgefahren und hat um 11 Uhr begonnen zu laufen … Naja. Andere Länder, andere Sitten – aber auch gut!

Der Blick zurück zur Seehornlücke und my love of the day

Mein Weg führt hinunter ins Tal in Richtung des Vermuntstausees und dreht später östlich abbiegend zur Bielerhöhe. Es zieht sich. Endlich sehe ich die Passstrasse und den Silvrettastausee. Die Bergruhe wird hier durch knatternde Motorräder und PS-protzende Autofahrer abrupt beendet. Aber was soll’s, der Tag war lang, meine Beine sind müde und ich sehne mich nach dem zweiten Radler – den stellt mir Wirtin Christine (ein Goldschatz mit herrlichem Dialekt!) im traditionsreichen Madlenenhaus quasi unaufgefordert vor die Nase. Ich schmunzle, fühle mich sofort wohl und richte mich für einen geselligen Vorarlberger Abend im Hüttenhotel ein.

Die Bielerhöhe mit dem Silvrettasee auf der Passhöhe

Tourdatum: 11. August 2023

Kartenausschnitt Silvretta

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

4 Kommentare

  1. danke, wie immer super fotos und beschreibung. richtig gluschtig. wenn ich nicht so alt wäre, käme ich grad mit oder hintennach…. so erfreue ich mich am lesen und fahre mit dem bergbähnli und meinen grosskindern auf einen berg und geniesse alles…..

  2. Dank je , Edwin.
    We lezen altijd graag over de prachtige tochten die je maakt met de schitterende foto’s.
    Doe ook de groeten aan je Vader !!!
    Fijne zomer, ook namens Rob,
    ied

  3. Hallo Edwin!
    Wat een prachtige tocht! Hans wees mij op : „Edwin wandert “ en dus ben ik gaan lezen. Omdat ik rondom mijn twintigste huttentochten heb gemaakt nam je me weer even mee in die spannende landschappen. Onze wandelingen waren wel een paar categorieën eenvoudiger……Ik denk dat er veel Bergwanderers zullen genieten van je spannende verhalen, lekker mee doorgaan. Hartelijke groeten uit het vlakke Holland, mijn thuis, ook mooi!

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