Um den Flimserstein

Eigentlich war dieser Blogbeitrag nicht vorgesehen. Beabsichtigt war eine Alpinwanderung von Flims ins Calfeisental. Doch die dichten Wolken liessen eine Passage über den weglosen Sardonapass nicht zu. So komme ich zu einer Umrundung des Flimsersteins in der südlichen Sardona-Arena. Die Schönheit dieses Gegend verdient ihren Platz in der Wandersammlung.

Ich lasse mich mit einer dieser grossen Gondeln des Flims-Arena-Express auf die Alp Nagens hieven. Ein Eldorado für Downhiller. Jeder dritte Gondel ist eine Aufhängevorrichtung für Bikes. Entsprechend „industrialisiert“ sind die Flimser Berghänge, über die sich dann im Winter wieder die Skifahrer ergiessen. Die Biker steigen aus und fahren runter, ich hingegen steige auf und bin bald alleine. Es fehlen nur wenige hundert Meter vom Trubel zur totalen Stille, die einen im Sardona-Gebiet umhüllt.

Untere Segnasebene von Nagens aus gesehen. Die Tschingelhörner noch etwas in den Wolken
Der Zutritt zur Ebene – die Tschingelhörner im Hintergrund

Zunächst eröffnet sich die grandiose Sicht in die untere Segnasebene, in die ich hinuntersteige. Die Tschingelhörner mit ihren scharfen Spitzen am oberen Ende der Ebene erfreuen das Auge genauso wie das grosse Becken mit den vielen Wasserläufen, die wie gezopft aussehen. Bei einer Alphütte im Talboden wird im Schaukasten Bienenhonig angeboten. Ich frage mich, wie die Tierchen auf dieser Höhe überleben können. Oder sind die Bienenstöcke nur Lockvögel für die Wanderer, die hier auf ihrem Weg nach Elm über den Segnaspass vorbeikommen?

Bienen auf 2100m?

Ich zweige nun ab vom Hauptwanderweg zum Pass und steige steil die Flanke hinauf in Richtung der oberen Segnasebene. Das erlaubt wiederum wunderbare Blicke in die Ebene und auf die Tschingelhörner, bald schaue ich durchs Martinsloch. Mit Schaudern denke ich auch an die wohl ebenso begeisterten Insassen der Ju-52 zurück, die hier vor wenigen Jahren tragisch ums Leben kamen.

Die Tschingelhörner in voller Pracht – wer sieht das Martinsloch?

Kurz vor dem oberen Boden überschreite ich den Bach. Sehen tut man ihn allerdings nicht, so tief hat sich das Wasser in den Kalkstein eingegraben. Faszinierend! Genauso eindrücklich ist auch der Blick auf die Ebene mit ihren Wasserläufen. Doch etwas anderes passt mir gar nicht: Der Sardonapass hüllt sich in Wolken. Und das ist nicht gut. Nicht gut, weil die nur wenig mit Steinmännchen markierte Alpinwanderroute gute Sicht voraussetzt.

Das Wasser ist mindestens 10m tiefer…
Obere Segnasebene – am Talende beim Gletscher der bedeckte Sardonapass

Mein geübtes Abwägen der Risiken – keine Sicht, alleine unterwegs, kein Netz – wird vom Engelchen gewonnen. So umrunde ich die Ebene und schaue mir die geplante Traversierung durch das Gletschergeröll nur von unten etwas näher an. „Ich komme wieder!“, rede ich mir gut zu und bleibe auf dem sicheren Wanderweg zur Fuorcla Raschaglius. Immer noch leicht zweifelnd, ob das wirklich nötig war – das Teufelchen motzt noch – erreiche ich den gutmütigen Rücken unter dem Fil Cassons. Zeit für eine Pause.

Es ist rauh am Talende…
Kurz vor der Fuorcla Raschaglius – der betrübte Blick zurück zum Sardonapass!

Während ich meine Blevitas und den Fleischkäse kaue, betrachte ich die Wolkenspiele und denke nach. „Come on“, denke ich – nimm dafür den Fil Cassons noch mit! Gesagt getan – doch noch bevor ich den nur etwa 150m höher gelegenen, langen Grat des Flimserstein erreiche, senkt sich die Wolkendecke über ihn. Ich drehe wieder um – und weiss nun definitiv, dass ich das Richtige getan habe. So nehme ich den Abstieg durch das Tal, beziehungsweise durch den Hinterhof des eindrücklichen Felsmassivs unter die Füsse. Der ist zunächst nicht wirklich reizvoll, zuerst Schutt, dann Gras. Das ändert sich aber schlagartig, als der Pfad in das Val Sax einmündet und ich den Bach überquert habe.

Der Flimserstein (rechts) und sein Hinterhof
Val Sax: Hier wird es schön…. und immer schöner…

Der Bach zwängt sich zunächst durch einen tiefen Graben, dann öffnet sich ein richtiger Canyon nach Bargis hin. Spektakulär und wunderschön! Der ruppige Pfad (ich wundere mich, welche Freude ein paar Biker daran finden, ihr Vehikel hier den Berg hinaufzustossen…) endet in einer ersten Ebene (La Rusna) und findet seine Fortsetzung in einem Alpsträsschen, über das ich nun entspannt ins Tal gwaggle. Ich bleibe immer wieder stehen, um mir die schönen Bilder einzuprägen und mein iPhone damit zu füllen. Die Auswahl fällt schwer!

Blick in den Canyon
La Rusna, die erste Ebene. Weiter würde ich nicht biken…

Das Tal füllt sich nun vermehrt mit Bäumen, die Zivilisation kommt näher. Neckisch schmücken drei Hinkelsteine den Wegrand – wie die Hüter des gallischen Dorfes – vor dem Abstieg in die nächste Talstufe. Auch die Sonne meldet sich kurz zurück, auch wenn weiter vorne schon bedrohliche schwarze Wolken am Himmel hangen. Doch ich schaffe es trocken nach Bargis, wo ich von der Stille direkt in das fröhliche Volksfest eines Alpabzugs komme.

Die Talwächter
Der Weg führt nun zur Ebene von Bargis am Talende
Nochmals der Blick zurück, weil es so schön ist…
Die Alp Bargis mit Flimserstein

Das schnelle Bier und die Chäswurscht vom Strassenstand schmecken bestens und so steige ich trotz Planänderung ganz zufrieden in das Postauto nach Flims ein.

Tourdatum: 16. September 2023

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Kartenausschnit Flimserstein

7 Kommentare

  1. Danke Edwin
    Wieder ein grossartiger Bericht – diese Region kenne ich noch viel zu wenig.
    Herzliche Grüsse

  2. Wieder ein toller Wanderbericht! Wie immer macht er Lust, die Wanderung auch zu machen.
    Du kannst Deinem Engelchen dankbar sein, denn über den Sardonapass wärst Du auf einem wegen Steinschlag gesperrten Weg gelandet. Leider zeigt Schweiz Mobil diese Wege nicht an, auch wenn man die Option angeklickt hat. Es lohnt, sich die Wanderung jeweils auch auf Swisstopo anzusehen. Auch hier muss allerdings die Option Umleitungen/Sperrungen aktiviert werden.
    Ich freue mich auf viele weitere schöne, interessante Tourenberichte.
    Herzliche Grüsse
    Edith

    • Liebe Edith
      Danke für den Hinweis! Ich glaube, du meinst die Route über das Trinserfurgga. Diese wird wohl tatsächlich noch lange gesperrt sein, mindestens bis der ganze Trinserhorn-Abbruch erfolgt ist. Ich meine allerdings die Route über den Gletscher, den der Hüttenwart als Ausweichtoure empfiehlt und teilweise mit blau-weissen Strichen markiert hat. Siehe sardonahuette.ch. Ich werde es auf jeden Fall nochmals probieren und darüber berichten.
      BG, Edwin

  3. Wunderschön. Ich bin erst seit kurzem Mitleser und finde es toll, wie du deine Erlebnisse beschreibst. Danke vielmals.
    Die Tour hab ich mir auf jeden Fall gespeichert.

  4. Lieber Edwin
    Ein weiterer wunderbarer Tourenbeschrieb, eindrückliche Fotos… danke, dass du das alles mit uns teilst!

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