Von Muotathal nach Kinzig – auf den Spuren Suworows

Im September 1799 Jahren zog General Suworow mit über 20’000 Soldaten, Pferden, Kanonen und Gefolge von Altdorf beschwerlich über die Chinzig Chulm ins Muotathal. Ich nehme heute die Gegenrichtung – und wähle dabei etwas spannendere Pfade. Geplant war es „nur“ als Trainingstag (1’600 Höhenmeter) – erlebt habe ich eine Genusstour mit zunehmend schweren Beinen.

Bei der Bushaltestelle Hintere Brücke in Muotathal beginnt meine Tour. Ich durchquere das Gelände einer Sägerei und zweifle kurz, ob ich richtig bin. Doch dann entdecke ich ein Drehkreuz mit gelber Wanderwegmarkierung – und dahinter beginnt eine andere Welt, meine Welt. Ein steiler, sehr steiler Wiesenpfad zeigt gleich, was Sache ist: Gratis gibt’s hier nichts! Dafür duftet das Gras fein, und neben mir erzählt der Hüribach leise Geschichten.

Wer es gemächlicher mag, folgt der Teerstrasse hinauf ins Lipplisbüel. Ich bevorzuge diesen wilden Pfad, der bald durch urwüchsigen Uferwald ins Hüribachtobel führt. Tief hat sich der Bach in die Landschaft gegraben, Gletschermühlen zeugen von der Kraft der Zeit – fantastisch!

Der Hüribach mit seinen Gletschermühlen

Beim ersten Bauernhof flacht der Hang etwas ab und lädt ein in den schattigen Wald. Eine stattliche Geisengruppe grast friedlich, ihre Glöcklein weben einen feinen Klangteppich – Bergromantik pur. Ich halte kurz inne und blicke zurück ins Tal, das nun schon tief unter mir liegt. Dann verschluckt mich der Wald – seine Kühle tut gut an diesem heissen Tag. Der Bach bleibt mein Begleiter – ab und zu auch ein paar Meter auf Asphalt –, aber der Weg steigt nun angenehm an.

Blick zurück in Muotathal

Schliesslich lichtet sich das Grün, und über mir grüssen die Fahnen des Berggasthauses Lipplisbüel. Die Wirtschaft gehört zu einem kleinen Hüttendorf auf einem weiten Hochplateau zwischen Blüemberg und Wasserbergfirst. Bei einer kleinen Erfrischung kommt Ferienstimmung auf. Die hübschen Knusperhäuschen strahlen Ruhe aus – stehen aber dicht gedrängt, aus gutem Grund: Lawinen aus Ost und West begegnen sich hier im Winter.

Lippisbühl liegt frech auf der Kante eines Hochplateaus
Der lange Talgrund, hier geht’s dann rechts hoch zur Seenalp

Weiter geht’s auf dem Asphaltsträsschen bis zur Alpkäserei. Dort verzweigen sich der Alpweg durchs Chinzigtal und der etwas längere Wanderweg über die Seenalp. Beide führen zur Chinzig Chulm. Beim Kartenstudium fällt mir auf, dass hier die Kantonsgrenze Schwyz/Uri durchs Tal verläuft – also einmal mehr „zugunsten der Urner“, wie im Urner Boden oder im Surenental. Der Pfad steigt nun zügig über die Grashänge zur Seenalp, wo sich ein stattlicher See ausbreitet – ein echter Eyecatcher, ebenso wie der Fulen und der Rossstock am Talende. Hier erlebe ich den schönsten Abschnitt des langen Aufstiegs – sanft steigend durch blumenübersäte Alpwiesen.

Nach steilem Anstieg friedliches Weidesurfen über die Seenalp.
Das idyllische Seenalpseeli und der einzige Baum im Tal – exponiert auf einem Felsen.

Am Talende wird es noch einmal steil, und meine Beine werden schwer. In einem Anflug von Übermut versuche ich, über die Oberfrutt zur Lang Egg etwas abzukürzen – um ein paar Höhenmeter zu sparen. Natürlich geht das schief: Am Ende stehen 50 Höhenmeter mehr und ein Kratzer am Schienbein zu Buche. Zum Glück kann ich über mich selbst lachen. Immerhin ist die Aussicht auf den Urner Alpenkranz nun so betörend schön, dass alle Müdigkeit verfliegt. Höchste Zeit für eine Genusspause mit Rundblick, Schoggiriegel und Hörnlisalat!

Mein geliebter Chaiserstock
Auf dem Oberfrutt – Blick zur den Schächentaler Windgällen und ins Chinzigtal
Die Urner Riesen mit Windgällen, Balmeten und dem mächtigen Glattfirn. Der Surenenpass ist schon bald schneefrei

Von der Lang Egg zieht der Pfad noch eine weite Kurve, gewinnt nochmals etwas an Höhe und bringt mich schliesslich auf die Chinzig Chulm, wo seit eh und je eine kleine Kapelle steht. Der Abstieg nach Biel-Kinzig ist zunächst ziemlich steil, aber kurz – und ich staune: Hier soll Suworow mit 22’000 Mann, Pferden und Geschützen heraufgekommen sein? Janu, ich geniessse lieber den herrlichen Blick ins Reuss- und ins Schächental. Und schaue noch kurz hoch zum kurzen Fruttastäg-Klettersteig. Als ich das Bänklein in der Wand sehe, denke ich dankbar an die Genusskletterei mit Thomas zurück. Aber für heute ist jetzt genug!

Blick vom Chinzig Chulm zu Rosstock und Fulen. In der Bildmitte der Fruttisteig
Der Fruttisteig mit seinem speziellen Ruhebänkli (November 2018)
Durch die Blumenwiesen surfend nach Biel-Kinzig

Bei Wiltschi kreuze ich den Schächentaler Höhenweg. Von hier sind es nur noch zehn Minuten hinunter zur Bergstation Biel. Ein grosses Bier und eine feine Aprikosenwähe im frisch renovierten Alphotel halten mich noch eine ganze Weile von der Talfahrt mit der Miniseilbahn nach Bürglen ab.

Tourdatum: 13. Juni 2025

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Chinzig Chulm (pdf)

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