Durch Schluchten und über Kreten zum Passwang

Endlich regnet es wieder richtig! Doch MeteoSchweiz prognostiziert ein kurzes Trockenfenster im Jura. Auf die Schnelle empfiehlt mir Wanderpapst- und -freund Thomas Widmer die Wolfsschlucht und den Passwang. Der Ritt durch und über die zweite und dritte Jurakette macht Spass. Auch wenn der Regen dann doch mitspielt. Was solls – er ermöglicht Reality Checks für Kleider und bessere Fotos.

Der Bus aus Balsthal hält mitten auf der Strasse im „Nowhere“ zwischen Herbetswil und Welschenrohr. Wenn die Station nicht „Wolfsschlucht“ hiesse, wäre ich wohl gar nicht ausgestiegen. Nichts deutet auf einen Einschnitt hin. Doch 50 Meter unterhalb der Haltestelle weist ein gelbes Wanderschild auf den Wald. Dort erahne ich einen schmalen, tiefen Schlitz, der sich durch die steile Flanke zieht.

Willkommen in der Wolfsschlucht

Schon nach wenigen Metern tauche ich in die faszinierende Welt dieses Naturphänomens ein, das mich umgehend in seinen Bann zieht. Ein schmaler Pfad windet sich durch die enge Schlucht nach oben. Die frische Nässe auf den moosüberzogenen Brocken und Bäumen macht die Szenerie noch mystischer. Staunend steige ich weiter, himmelhohe Felswände anstarrend und knorrige Föhren bewundernd. Ein Fest für die Sinne.

Der Himmel ist weit weg…
Die engste Stelle

Etwas oberhalb der sehr engen Schluchtmitte biegt der Pfad nach rechts ab und steigt die Flanken zur Chüematt hoch. Anstatt heller wird es jedoch dunkler, bald klatschen die ersten Tropfen eines kräftigen Schauers auf meinen Anorak. Der war nicht auf dem Wetter-Radar! Aber ja nun. Auf der oberen Tannmatt erreiche ich das Dach der zweiten Jurakette und konstatiere erleichtert das Ende der Dusche. Ich schüttle die Nässe ab und spreche Regenhosen und Jacke ein Kompliment aus: „Well done, guys!“ Mit einem Lachen im Gesicht schaue ich der Wolke nach, die sich jetzt über Balsthal ausregnet.

Ausregnen über Balsthal

Es folgt ein angenehmes Gratsurfen über flache Weiden und entlang zahlreicher Dolinen, die aus der Ferne wie Bombentrichter aussehen. So erreiche ich den „Güggel“, ein schön gelegener Bauernhof mit Wirtschaft. Zeit für eine Essenspause. Ich will mich auf die verlassene Terrasse setzen um mein Sandwich zu essen, aber das lässt der Junge des Wirtes leider nicht zu. „Es ist Coronavirus“, sagt er, es tue ihm Leid, ich müsse weg. Dafür bietet die Familie einen umgebauten Baustellenwagen mit Selbstbedienungs-Takeaway an (Getränke, Kaffeemaschine und Kuchen). Ganz okay, ich mampfe im Stehen – und freue mich über die faszinierende Aussicht über das Tal zu Passwang und Hauenstein mit ihrer besonderen Topographie.

Der „Güggel“ ist zu, bietet aber Take-away und schöne Aussicht

Die Route wechselt nun von der zweiten auf die dritte Jurakette, die hier vom Guldental getrennt wird. Der Ab- und Wiederaufstieg ist minimal. Ab dem Scheltenpass fasziniert die langgezogene, gerade Krete des Sunnebergs, die ich zuerst überschreite und später ein langes Wegstück traversiere. Sie ist so schmal, dass sie mit etwas militärischem Vorstellungsvermögen wie ein künstlich aufgezogener Schutzwall wirkt. Einem Rudel Gemsen scheint es hier auch wohl zu sein. Leider ziehen sie die Flucht vor. Kurz vor dem Passwang wird der Bergrücken wieder breiter.

Nächste Wolke im Anzug…

Auf der Passwanghöhe zögere ich kurz. Es ziehen neue Regenwolken auf und die Route zum anvisierten Tageshöchstpunkt Vogelberg scheint durchgehend asphaltiert zu sein. Will ich das wirklich? Soll ich nicht lieber direkt durch den Wald nach Mümliswil absteigen? Zum Glück belehre ich mich eines Besseren und setzte die geplante Route fort. Denn ab der Gratkante (Sendeturm) wird es wieder spannend und es folgt sogar ein echtes Highlight. Auf dem gegen Osten ziemlich exponierten Vogelberg steht eine schöne Bank und die Aussicht ist toll. Wirklich – auch wenn man heute die Alpenkette nicht sieht. Auch der folgende Abstieg über die schmale Krete hinunter zur miniskülen Rochuskapelle ist lohnenswert. Der kühne Ritt über Stock und Stein erfordert viel Aufmerksamkeit und Trittsicherheit.

Blick vom Vogelberg ins Limmertal und zu Belchen/Hauenstein
Diese Krete macht Spass…

Eine Info-Tafel des Kapellchens orientiert über die Pest und Viehseuchen im 14. Jahrhundert (aus aktuellem Anlass aufmerksam gelesen!) und heiratswillige Töchter, denen im 18./19. Jahrhundert mittels Kniebeugen zu Ehemännern verholfen werden sollte. Naja. Zum Glück gibt es heute Parship & Co.

Als Schlussbouquet folgt der kurze Abstieg durch das vor Frühlingsblumen nur so strotzende Limmerentälchen, dessen Ausgang gleich nochmals mit einer geologischen spannenden Klus aufwartet. Auch wenn es nochmals tropft – ich bin zutiefst zufrieden mit dem schönen Tag.

Blick zurück zur Krete des Vogelbergs
Man kann auf diesem Bild die Wucht der Schlucht nur erahnen…

Schliesslich verlangsame ich das Tempo, um das nahende Ende der Tour noch etwas hinauszuzögern. Denn wenig später sehe ich über den Blumenwiesen den schlanken Kirchturm von Mümliswil, von wo aus mich das Postauto zurück nach Balsthal bringen wird.

Mümliswil

Tourdatum: 29. April 2020

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

3 Kommentare

    • Liebe Elisabeth
      Fotos: Ja, immer noch mit dem Handy – danach schneide ich sie etwas zu.
      Schuhe: Auf solchen Touren (Kategorie „Wandern“, meistens auch alles bis T3) trage ich eigentlich immer Trekkingschuhe. Wenn Nässe droht mit Gore-Tex, wenn nicht mit Wildleder oder Trailrunners.
      Erst wenn es sehr steinig wird oder es Schneefelder gibt, die nach Steigeisen rufen, kommen hohe Schuhe zum Einsatz.
      Beste Grüsse,
      Edwin

  1. danke, danke, ok. ich wandere eben wenns warm ist, immer mit den barfussschuhen, aber jetzt bei dieser nässe ist es noch zu kalt. und die fotos mit dem handy: ich staune immer wieder über diese gute qualität!

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