Die Fluten am Col de Barberine

Endlich wieder auf der Transversale – für fünf Tage! Ein Jahr nach der Erklimmung der Zähne des Südens (Dents du Midi) stehen wir wieder am Lac de Salanfe oberhalb von Martigny. Im Unterschied zu 2019 regnet es in Strömen. Es wird ein wilder Wasserritt über zwei noch winterliche Pässe bis zur Staumauer des Lac d‘Emosson. Das sorgt für mehr Abenteuer – und am Ende scheint die Sonne doch noch.

Walter und ich sind die einzigen Gäste der Auberge, die in Richtung Lac d’Emosson wollen. Es sei noch sehr „hivernal“ meint der Wirt. Genau deshalb musste ich hier letztes Jahr abbrechen – aber jetzt ist die Schneeschmelze schon viel weiter fortgeschritten. Nur regnet es – in Strömen, die ganze Nacht schon. Aber weil der Regenradar ab 11.00 Uhr Besserung verspricht, brechen wir trotzdem um halb Zehn auf. Mit dem Knirps in der Hand – etwas schräg aber effizient. Das hatten wir gestern Abend auf dem schönen Leitern-Aufstieg durch das Vallon de Van schon geübt.

Das erste Zwischenziel: Der Col d’Emaney links über der Staumauer

Schon auf der Staumauer staunen wir über die Unmengen Wasser, die rundherum von den Hängen strömen. Am ersten Bach entscheiden wir uns für eine Kneippkur, denn die Flut lässt sich nicht trockenen Fusses überschreiten. Doch die Idee geben wir bald auf, denn der ganze Berg tropft, auch der Pfad ist zum Wasserlauf geworden. Also – Schuhe wieder anziehen, Nässe aushalten, es soll ja bald besser werden. Und kalt ist es nicht.

Wasser wohin das Auge reicht
Im Aufstieg zum Col d’Emaney

Wir steigen nun gemächlich durch den Regen zum Col d‘ Emaney hoch, bald erreichen wir ausgedehnte Schneefelder. Ich ziehe meine neue Errungenschaft über, die leichten Spikes, eine Art Mini-Steigeisen für Trekkingschuhe. Mit ihnen erreichen wir den Pass mühelos. Dort bläst uns der kräftige Südwestwind allerdings gnadenlos ins Gesicht, sodass wir ohne Halt gleich auf der anderen Seite wieder hinuntersteigen. Den anvisierten Ausflug auf den Luisin lassen wir fallen. Auch vom Blick auf den Mont Blanc, den der Pass verspricht, ist natürlich nichts zu sehen. Dafür rutschen wir zielsicher über ein grosses Schneefeld hinunter und freuen uns, als sich erstmals kurz die Sonne zeigt. Der Knirps verschwindet in den Rucksack, die Windjacke bleibt an. Zeit für eine Pause vor dem nächsten Aufstieg.


Sonne! Im Hintergrund der Col de Barberine, in der Bildmitte die Schlüsselstelle am Bach

Die Überschreitung des Col de Barberine ist nicht so harmlos unter diesen Verhältnissen. Auch wenn eine Gruppe herumturnender Steinböcke das nicht so sieht. Wir passieren vorsichtig ein ausgesetztes Schneefeld, dann stehen wir vor einem reissenden Bach. Walter will durch, weil er die Querung des darübergelegenen Schneefelds misstraut. „Ein Einbrechen der Schneebrücke und wir sind Geschichte“, meint er trocken. Das weiss ich auch, aber wir haben keine andere Wahl. Mit grösster Vorsicht – und zeitweilig unter Steinbeschuss der aufgeregten Steinbock-Männchen – erklimmen und queren wir das steile Schneefeld. Hier bewegen wir uns im T5-Bereich (im Hochsommer ist dies eine T3-Tour), die Flut sorgte für die Schlüsselstelle des Tages. Die Spikes halten super (ich liebe sie bereits) und der harte Schnee ist gerade genug aufgeweicht, so stehen wir bald wieder auf sicherem Boden. Die 10-köpfige Steinbockherde ignoriert uns nun und grast unbeirrt weiter. Offenbar haben wir den Harmlostest für sie bestanden.

Das reissende Wasser und die nassen Platten zwangen uns über das steile Firnfeld

Auch das restliche Stück zum Pass ist fast vollständig schneebedeckt. Und zudem voller Steine von kleinen Lawinen, die über die Felswände hinuntergestürzt sind. Wir können aber gut etwas links von der Originalroute abweichen. Gegen den Pass zu wird es immer steiler, aber bald stehen wir oben – und werden erneut vom Wind fast weggeblasen.

Der Steinschlag rechts liess uns die Route nach links verlegen
Wind auf dem Col de Barberine

Doch dann meint Petrus es gut mit uns. Im Abstieg zum Lac d‘Emosson, der einsame, zweitgrösste Stausee der Schweiz, bläst er die letzten dunklen Wolken zur Seite und überlässt der Sonne die Überhand. Ein Traum!

Wasserreicher Abstieg zum Lac d’Emosson
Die Schwarznasenschafe posieren gerne für mich

Zu unserer Begeisterung zeigen sich immer mehr Berge – und insbesondere die östlichen Teilen des Mont Blanc-Massivs mit den Aiguilles du Tour und der Aiguille Verte (4122). Was für ein Kontrast zum grauen Morgen! Auf einem grossen Felsen über dem See, der über ein gigantisches Stollensystem unter anderem vom Wasser der gegenüberliegenden Gletscherwelt genährt wird, rasten wir lange, lassen unsere Schuhe und Kleider trocknen und geniessen das Spiel der Wolken, die sich sukzessive auflösen.

Chillen mit Blick auf den östlichen Teil des Mont Blanc-Massivs

Schliesslich schlendern wir trocken und in bester Stimmung zur Staumauer und lassen uns in der Beiz mit einer wunderbaren Tarte de Myrtilles verwöhnen. Zum Abschluss der Tour winkt die tolle Talfahrt mit VerticAlp Emosson – eine Kombination von drei Bahnen – einem Lift, einem Miniaturzügli und einer unglaublich steilen Seilbahn, die uns nach Châtelet hinunter führt.

Dank eines SMS an Hotelière Ardita erwartet uns Jérémy schon an der Talstation. So lagern wir bald im schönen Garten der gemütlichen Auberge La Grande Ourse in Trient unsere Beine hoch.

Im Garten der Auberge de la Grande Ourse mit Blick auf die Aiguilles du Tour und rechts unser morgiges Tagesziel (Les Grandes Otannes)

Tourdatum: 29. Juni 2020

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

3 Kommentare

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