Von Chiasso auf den Monte Generoso

Anfangs April muss man findig sein, um schneelose Touren zu finden, die trotzdem eine vernünftige „one way“-Steigleistung von 1500 Höhenmeter aufweisen. Eine Option lautet „tief beginnen“ – so am Bahnhof Chiasso, fast am südlichsten Punkt der Schweiz auf 230m ü. M. Es folgt eine kurzweilige Wanderung durch eine wilde Schlucht und über die bewaldeten Höhen westlich des Valle di Muggio bis auf den felsigen Gipfel des Monte Generoso.

Es beginnt urban – in den schmalen Gassen des Städtchens Chiasso, das ich bisher nicht kannte. Viel gibt es aber auch nicht zu sehen. So streben wir zügig zum Ortsausgang, überqueren die lärmige Autobahn und folgen der Breggia, die das Valle di Muggio auf der Südseite des Monte Generoso entwässert.

Chiasso zeigt mir bisher unbekannten Charme
Entlang der Breggia

Sobald wir den Eingang ihrer Schlucht erreichen, sind wir in der Natur. Vögel zwitschern, Wasser plätschert, es wird still. Ein Geo-Lehrpfad weist auf die Stationen und Zeugen einer geologischen Zeitreise hin. Wir passieren eine alte Bierbrauerei, dann die Resten einer Zementfabrik. Dort wird die Schlucht eng und der Pfad schmal. Wir umgehen Felsen mit Hilfe von Holzplanken und Seilen, dann steigen wir steil die Flanke hinauf, erspähen eine Ruine und erreichen bald den Rand der Schlucht.

Die Idylle einer alten Bierbrauerei
Im engen Teil der Schlucht

Wir sind nun im pittoresken Dorf Castel San Pietro. Ich erinnere mich schmunzelnd an den begleiteten Börsengang einer Medtech-Firma, die hier ihren Sitz hat. Ihre Orthopädie-Produkte sind Weltklasse – zum Glück brauche ich sie aber noch nicht! Am oberen Dorfrand finden wir einen Brunnen, ein guter Grund für eine kurze Pause. Wir füllen unsere Flaschen.

Nun steigen wir über ein schmales, kunstvoll angelegtes Fahrsträsschen durch den lichten Wald auf den Albareda. Es ist warm geworden, auch wenn sich der blaue Himmel leider extrem dunstig präsentiert. Die fehlende Fernsicht tut etwas weh, umso intensiver unterhalte ich mich mit Christian. Wir haben uns eh viel zu erzählen. Auf dem Bergrücken angekommen passieren wir bald die 1000m-Grenze und surfen fortan mit wesentlich flacherem Steigwinkel links und rechts über den gutmütigen Gratrücken („Dosso Bello“). Offenes und bewaldetes Gelände wechseln sich ab, mal taucht ein Alpbetrieb auf, mal ein paar Kühe.

Auf dem Albareda … leider ohne Fernsicht
Kurz vor Bellavista, vor uns die vordersten Ausläufer des Generoso

So erreichen wir die Station Bellavista, wo wir auf das Trassee der Monte Generoso-Bahn treffen. Wie es der Name sagt, wird das Panorama hier nochmals aussichtsreicher. Links unten schimmert der Luganersee, rechts zeichnen sich die spärlichen Siedlungen des Val Muggio ab, vor uns türmen sich die ersten Felsköpfe des Monte Generoso auf. Auch der stark verwurzelte Waldboden hat seinen besonderen Reiz. Überhaupt ist es speziell, dass hier Laubbäume bis auf über 1600m wachsen.

Wenn nur die Fernsicht etwas besser wäre! Die Aussicht auf den Alpenkranz wäre kaum zu toppen – von den grossen Wallisern im Westen bis zu den Bündnern im Osten! „Generoso“ eben – ich werde wiederkommen müssen.

Blick nach Melide
Wurzelzauber
Oberhalb der Bergstation

Das letzte Stück Steigung von der Bergstation zum Gipfel wird dann sogar noch ein ganz kleines bisschen alpin. Denn frische Schneereste der letzten Tage bedecken den Boden und geben dem grasig-felsigen Gipfelmassiv eine winterliche Note. Die Ostflanke sieht sogar ziemlich spektakulär aus. Auf dieser Seite wollen wir später runter, über einen schmalen, blau-weiss markierten Pfad, der vom Gipfel steil hinunter nach Rovio und Maroggia zum See hinunter führt. So wird aus der einfachen Wanderung nach oben eine prickelnde Bergtour nach unten.

Gipfelfreude mit (fehlender) Nordsicht
Auf dem winterlichen Monte Generoso
Da links geht’s wieder runter …

Doch diesen reizvollen Abstieg muss Christian alleine gehen. Denn kurz vor dem Gipfel beenden plötzlich einsetzende Schmerzen in meinem rechten Bein die Wanderfreude abrupt. Nach einer halben Stunde Stretching und Zähnebeissen weicht der Druck auf den Nerven des Oberschenkelmuskels zwar wieder, an einen heiklen Abstieg (T4) ist aber so nicht zu denken. Oder soll ich es doch wagen? Lust hätte ich ja schon… aber nach kurzer Beratung mit Christian und nochmaligem Zögern verabschiede ich mich schweren Herzens von ihm und visiere stattdessen das nahe Bähnchen für den Abstieg an. (Das Thema Schmerzen wird mich leider über 2 Monate ernsthaft beschäftigen, darum werdet ihr wohl erst im Juli wieder von mir lesen).

Fazit: Ich werde zurückkommen – bei guter Fernsicht – und anschliessend diesen Eintrag ergänzen! Der Monte Generoso ist es wert.

Tourdatum: 6. April 2022

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

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