Das weisse Kistenstöckli


    Das Kistenstöckli ist ein prägnanter, zackiger Tafelberg inmitten der wilden Kulisse im Grenzgebiet von Glarnerland und Vorderrheintal. Wir erreichen es von Brigels aus, durch das zauberhafte Val Frisal und über eine abenteuerliche Bänderroute. Und das Ganze in weiss.

    Eigentlich war es nur als Verbindungstour zur Bifertenhütte angedacht, aber der heutige Tag entwickelte sich zum bisher spektakulärsten Alpinwandertag in dieser Sommersaison. Dazu trug der frisch gefallende Schnee das seine dazu bei. Aber beginnen wir von vorne:

    Nach einer Übernachtung im Hotel La Val in Brigels beginne ich den morgen gemächlich. Reto hat sich angekündigt, und der kommt aus dem Unterland angereist. Ich warte gerne, mit ihm verbinden sich viele schöne Tour-Erinnerungen. Immer alleine unterwegs will ich auch nicht sein, denn gerade heute möchte ich eine selten begangene Route begehen. Anstatt über den normalen Hüttenweg wollen wir direttissima vom vielbesungenen (Hans!) Val Frisal über einen Bänderweg direkt durch die Wand zur Hütte aufsteigen. Die habe ich auf hikr gesucht und entdeckt – und das traue ich mir zu. Aber zu zweit sind solche Leckerbissen immer besser zu geniessen.

    Das Kistenstöckli morgens noch ganz ins weiss…

    Vorerst folgen wir dem Flem-Bach und steigen im gemächlichen Steigwinkel das Tal hoch. Zahlreiche schön eingerichtetet Picknickplätze – zum Teil sogar mit Toitoi-Häuschen versehen – säumen den familienfreundlichen Weg. Noch weit vor uns erblicken wir bereits die über 500m hohe Wand am Fuss der Cavargia da Breil (Hochebene beim Kistenpass), über den sich das Kistenstöckli erhebt – ganz in weiss gehüllt. „Oje“, denke ich, „das wird nichts mit einer Besteigung“. Auch in der Wand und im Steilgras liegt noch etwas Schnee. „Sh…“, geht das auch nicht heute“? Ich grüble nicht lange und quatsche wieder gelassen mit Reto weiter. Die Zeiten sind vorbei, in denen ich mich über verpasste Chancen masslos ärgern konnte. „Es isch wie‘s isch, basta.“

    Kurz vor dem Erreichen des Val Frisal
    Ohne Worte

    Das Tal macht nun eine Bogen nach Westen und nach einer Steilstufe stehen wir im gelobten Val Frisal. Wow Hans, das ist tatsächlich wunderbar. Die weite Ebene, der mäandernde Bach, umrahmt von einer felsigen Kulisse, leicht mit Puderzucker bestreut. Cool!

    Wir suchen im grasigen Steilhang nach Wegspuren und werden bald fündig. Nach 30-40 Höhenmetern durch Gras stehen wir auf einem Pfad, der seinem Namen zumindest ein Weilchen lang gerecht wird. Dieser windet sich sehr steil ansteigend um die Felspartien, dann verschwindet er im Gras und die Route muss erahnt werden, bald auch noch durch Schneereste erschwert. Steinmänner hat es keine, aber mit Hilfe des GPS geht es eigentlich gut. Dann beginnt die Querung nach Osten und bald erreichen wir das erste Band, das sich erfreulicherweise wie ein richtiger Pfad präsentiert. Dieser führt nun leicht hinunter und verliert sich dann in hohes, mit Felsbrocken durchsetztes Gras. „Oberhalb der Hüttchens“ bleiben, erinnere ich mich an den Hikr-Bericht. „Aber wo beginnt nun dieses nächste Band (siehe Foto unten)?“.

    Steilgras
    Das erste Band ist harmlos zu begehen
    …das zweite sieht schwieriger aus… aber genau durch die Mitte geht’s durch

    Aber auch das ist eigentlich eindeutig. Bei einem grossen Felsbrocken geht‘s los (wir haben für unsere Nachfolger ein Steinmännchen darauf gebaut). Reto kann‘s kaum glauben, aber es geht ganz leicht. Nur gerade an zwei Stellen wäre eine Kette gut für die Psyche und für die Linderung der Sorgen der Zuhausegebliebenen. Bald wandert sich es aber auch hier ganz wohlig auf einem guten Wildwechsel um die ganze Felswand herum.

    Ja, es geht wirklich!

    Es folgen noch ein paar hundert Meter durch Gras und bald erreichen wir die Absperrung für die Kühe und etwas später den Hüttenweg. Das war super! Wir setzen uns auf einem Felsvorsprung ins Gras und blicken nochmals hinunter in diese wilde Wand und ins daruntergelegene, prächtige Val Frisal. Zeit für ein Picknick!

    Auf dem Hüttenweg: Blick ins Val Frisal und auf die Ebene mit dem Kistenstöckli. Dahinter der Bifertenstock

    Danach sind es nur noch knapp 30 Minuten zur Bifertenhütte, die wir über diese Cavargia da Breil erreichen, eine wundersame Ebene auf 2400m. An deren Rand thront die vor wenigen Jahren renovierte, kleine Bifertenhütte, wo wir sehr herzlich empfangen werden. Bald steht eine frische Tasse Kaffee auf dem Tisch und ich liebäugle schon mit dem Schoggikuchen und den Jasskarten.

    Aber natürlich ist es noch viel zu früh, um an den Hüttenchill zu denken – dieses Gipfelchen muss noch her! Und tatsächlich ist der Schnee um das Kistenstöckli schon vielerorts wieder geschmolzen und der Schutt des Kegels wieder sichtbar. Wir wagen es – aber lassen die schweren Rucksäcke in der Hütte zurück. Dann erstürmen wir dieses Kleinod nur mit den (sehr hilfreichen) Wanderstöcken in den Fäusten. Es ist steil, aber nicht zu steil, kurz vor dem Gipfel geht es in die Felsen und der schaudernde Tiefblick auf die Nordseite wird frei – unten schimmert der Limmerensee: wow! Doch Achtung – konzentriert bleiben und vorsichtig weitersteigen. Das letzte Stück mit Hilfe von Ketten, dank derer sich die Brocken ganz einfach bezwingen lassen. Nach 28 Minuten stehen wir auf dem Gipfelplateau. Und dann beginnt ein Riesenfest!

    Steinformationen wie in einem Bienenstock
    Tiefblick auf Limmerensee

    Seht selbst: der fantastische Rundblick auf die frischverschneiten Berge, die Dutzenden Steinmännchen auf der übergrossen Tafel, die wilden Wolkenspiele. Grossartig. Und als Tüpfchen aufs i der schmale Wurmvorsatz des Gipfels, auf dem sich spektakuläre Fotos schiessen lassen. Wir sind fast benommen vor Freude und harren trotz Wind und Kälte lange aus. Wer je zur Bifertenhütte geht sollte diese Gipfelfreude nicht verpassen.

    Steinmannparadies auf dem Tafelberg

    IMG_9461

    Der Wurmfortsatz…
    Blick zu Muttsee und Ruchi

    Schliesslich steigen wir vergnügt zur Hütte ab, wo der Schoggikuchen und die Spiele nun zum Zuge kommen und wir einen geselligen Abend mit den anderen Hüttenbesuchern verbringen. Danke Mischa und Ursula für die neue Mensch-ärger-dich-nicht-Variante! Über das folgende 8-stündige Halbwachliegen im Konzert dreier Profi-Schnarcher will ich nicht zuviele Worte verlieren. Es gehört einfach zu den Nachteilen einer Hüttentour.

    Es ist gemütlich in der kleinen, traumhaft gelegenen Bifertenhütte!

    Datum: 8. August 2023

    Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

    8 Kommentare

      • Danke Dir Elisabeth. Das freut mich sehr. Die Eindrücke sind noch sehr frisch (im wahrsten Sinne des Wortes)

    1. Lieber Edwin – habe Deinen Blog erst vor kurzem entdeckt. Deine ‚Wanderungen‘ überschreiten leider meine Fähigkeiten und Mut – aber zum Nachlesen wie‘s denn sein könnte und was man sehen könnte sind sie ein Genuss. Ich freu mich auf Deine nächste….

      Liebe Grüsse – G.

    2. Vielen Dank Edwin! So haben wir zumindest das Kistenstöckli dank deinen Beschreibungen und tollen Bildern doch noch erklimmen können. Nebel sei Dank haben wir uns den Aufstieg am Mittwoch Morgen erspart.
      Liebe Grüsse und auf hoffentlich bald wieder Mal in einer Hütte. Andrea und Daniel (us Bärn)

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